Neusser Jobcenter-Mord: Angeklagter laut Gutachter nicht gestört
Ein Mann ersticht eine Mitarbeiterin im Jobcenter, weil er argwöhnt, seine persönlichen Daten könnten zu Werbezwecken missbraucht werden. Dennoch sei er nicht geistesgestört, sagt der Gutachter.
Neuss/Düsseldorf. Im Prozess um den Mord an einer Mitarbeiterin im Jobcenter von Neuss hat ein Psychiater den Angeklagten als nicht geistesgestört eingestuft. „Von einer strafrechtlichen Verantwortung ist auszugehen“, sagte der forensische Psychiater am Montag als Gutachter im Prozess aus.
Der 52-jährige Angeklagte hatte die Bluttat gestanden. Er habe seine Sachbearbeiterin im Arbeitsamt erstochen, weil er der Behörde den Missbrauch seiner persönlichen Daten unterstellte. Der Angeklagte hatte selbst mehrfach erklärt, er sei bei der Tat vor einem halben Jahr „nicht bei Verstand gewesen“.
Es gebe trotz des eigenartigen Motivs keinen Hinweis auf eine schizophrene oder wahnhafte Störung, so der Psychiater. Es fehle vor allem an einem typischen Krankheitsverlauf mit entsprechenden Hinweisen auf eine solche Störung. Außerdem sei der Angeklagte in einem völlig untypischen Alter für eine schizophrene Ersterkrankung.
Er habe sich vom Arbeitsamt seit langem schlecht behandelt gefühlt. Eine als Provokation gedeutete Äußerung der Sachbearbeiterin könne dann vor dem Hintergrund chronischer Frustration zu dem Ausbruch geführt haben.
Der Angeklagte neige dazu, Dinge, die ihm widerfahren, zu dramatisieren. Er fühle sich schnell schikaniert und sei auch aufbrausend. Er habe ihm gegenüber gesagt, dass er während der Untersuchungshaft beinahe einen Gefängniswärter angegriffen hätte, als er sich um seine Freistunde betrogen sah. Außerdem müsse seine unterdurchschnittliche Intelligenz mit einem IQ von 74 berücksichtigt werden.
Die Verteidiger hatten den Gutachter zuvor vergeblich abgelehnt. Es gebe deutliche Hinweise auf eine paranoide Störung ihres Mandanten, erklärten die Anwälte. Sie gingen von einer erheblichen Persönlichkeitsstörung aus und forderten ein weiteres Gutachten.
Möglicherweise habe der Psychiater die Störung wegen der Sprach- und der kulturellen Barriere zum Angeklagten nicht erkennen können. Er stamme aus einem Dorf mit mittelalterlichen Strukturen und habe nur drei Jahre lang eine staatliche Schule besucht.
Zudem sei der Einsatz einer Frau als Dolmetscherin bei dem tiefgläubig-islamischen Angeklagten nicht angebracht gewesen, monierten die Anwälte. So habe der Marokkaner intime Fragen zum Sexualleben und zu seiner ersten Ehe komplett verweigert. Damit fehle ein wichtiges Gebiet für ein umfassendes Gutachten. Das Gericht wies den Antrag zurück. Der Prozess wird fortgesetzt. dpa/lnw