RWE—Mitarbeiter verzichten auf Aktion

Grevenbroich/Erkelenz. Jürgen Linges sah sie von weitem kommen. „Rund 70 Aktivisten kletterten am Tagebaurand hinunter, liefen auf die Bagger zu“, schildert das Mitglied des RWE Power-Betriebsrats und Vorsitzender der Vertrauensleute.

„Polizisten konnten einige aufhalten, andere kamen durch. Von der anderen Seite an den Förderbändern näherte sich eine weitere Gruppe mit etwa 30 Menschen“, so der Grevenbroicher.

Eigentlich hatten sich Linges und rund 300 weitere Mitarbeiter am Samstagmorgen am Sozialtrakt des Tagebaus in Grevenbroich versammelt, um in der Grube ein Zeichen für eine „sichere, bezahlbare Energieversorgung und für gute Arbeitsplätze“ zu setzen. Doch da sich der Weg von Aktivisten und Mitarbeitern gekreuzt hätte, „haben wir auf die Aktion verzichtet. Wir wollten eine Konfrontation vermeiden“, erklärt Linges.

Im Tagebau machten nicht Mitarbeiter, sondern andere auf sich aufmerksam. Am frühen Samstag hatten viele hundert Menschen versucht, in den Tagebau Garzweiler II zu gelangen. Im Internet und auf Flugblättern hatten Umweltaktivisten zuvor dazu aufgerufen, sich für den Kohleausstieg zu engagieren. „Ende Gelände“ hieß die Aktion, mit denen mehrere Organisationen dazu aufriefen, die Bagger zu stoppen.

Das gelang teilweise. Den Aktivisten gelang es, in vier Gruppen in die Grube zu gehen oder die Böschung hinab zu klettern. Bagger 258 stellte seinen Betrieb ebenso ein wie Bagger 261 — rund 30 Menschen waren auf das etwa 2,50 Meter hohe Fahrwerk geklettert.

Laut Guido Steffen, Pressesprecher bei RWE, liefen am Samstag Mittag nur vier von sechs Baggern im Tagebau Garzweiler: „Wichtig ist für uns, dass die ganze Aktion glimpflich abläuft.“

Mona Bricke, Sprecherin der Protestkampagne "Ende Gelände"

Besonders morgens ging es heftig zu. Aktivisten twittern über Tränengas- und Schlagstockübergriffe durch die Polizei. Bei dem Versuch, zum Tagebau und später hinein zu gelangen, kam es offenbar bei Borschemich (alt) zu vehementen Auseinandersetzungen zwischen Aktivisten und Polizisten, die von „gewaltbereiten Demonstranten“ sprachen. Deshalb wurden laut Paul Kemen, Polizeisprecher aus Aachen, Reizgas und Schlagstöcke eingesetzt. Mona Bricke, Pressesprecherin der Protestkampagne „Ende Gelände“, erklärte dazu: „Ich habe mit eigenen Augen gesehen, wie die Polizei mit Stöcken und Tränengas auf die Demonstranten losgegangen ist. Es gab mehrere Verletzte.“

Nachmittags war es rund um den Tagebau so ruhig wie selten. Bagger und Förderbänder schwiegen. An mehreren Stellen in dem weitläufigen Tagebau hielten sich die Umweltaktivisten und die Polizei auf, die nach und nach deren Personalien erfassten und ihnen Platzverweise erteilten. Jene 240 Personen, die ihre Identität nicht preisgaben, wurden zum Polizeipräsidium Aachen gebracht, um sie dort festzustellen. Laut wurde es zwischendurch lediglich, als drei Hubschrauber der Bundespolizei landeten, um Einsatzkräfte schneller von einem Ort zum anderen verlagern zu können.

Zunächst sprach die Polizei von rund 250 Personen im Tagebau, am Samstagabend wurde die Zahl auf 600 erhöht. Gestern, als die offizielle Zahl bekanntgegeben wurde, stand fest, dass es 805 Menschen in den Tagebau geschafft hatten.

Gegen 19 Uhr hatte die Polizei alle Aktivisten aus dem Tagebau Garzweiler II herausgebracht. 797 Strafanzeigen seien gestellt worden. Ermittelt werde unter anderem wegen Hausfriedensbruchs, Landfriedensbruchs, Verstoß gegen das Waffengesetz und Störung öffentlicher Betriebe, berichtete die Polizei Düren, die den Einsatz leitete.

Bestätigt wurden von der Polizei gestern 36 verletzte Personen. Die Aktivisten nannten rund 200. „21 Demonstranten wurden verletzt, vor allem waren es Augenreizungen aufgrund des Pfefferspray-Einsatzes“, erklärte Angela Jansen, Sprecherin der Heinsberger Polizei. „Auf Seiten der Polizei wurden 15 Beamte verletzt.“ Zwei Polizisten hätten ihren Dienst verletzungsbedingt nicht fortsetzen können. Eine Demonstrantin wurde mit Verdacht auf einen Herzinfarkt in ein Krankenhaus gefahren.

Wie RWE-Sprecherin Julia Modenbach gestern erklärte, nahm der Energiekonzern am Samstagabend den normalen Betrieb wieder auf. „Bis zu drei Bagger mussten wir aus Sicherheitsgründen stilllegen. Für den Betriebsablauf bedeutete das zwar eine Störung, doch wir waren darauf vorbereitet. Zu keinem Zeitpunkt war die Versorgungssicherheit gefährdet.“

Viele Demonstranten wehrten sich dagegen, kriminalisiert zu werden. Den Aktionssamstag wollten die Veranstalter dennoch als politische und friedliche Botschaft verstanden wissen. „Wir brauchen dazu den zivilen Ungehorsam“, meinten Demonstranten.

Bei RWE Power waren am Samstag „die Kollegen natürlich sauer, dass sie an ihrer eigenen Arbeitsstätte ihr demokratisches Recht wegen der illegalen Aktion anderer nicht wahrnehmen konnten“, berichtet RWE-Sprecher Guido Steffen. Und auch Betriebsrat Walter Butterweck, Initiator der Gegen-Kundgebung, erklärte: „Wir wollten friedlich unsere Meinung sagen, doch das wird uns durch solche illegalen Aktionen wie ,Ende Gelände’ verwehrt. Das ist nicht akzeptabel.“