Terrorverdacht: Hier wohnte Saleh A.
Die Kaarster reagieren besonnen auf die Nachricht, dass Saleh A. in ihrer Nähe gelebt hat. Die Stadt erwägt stärkere Kontrollen.
Kaarst. Dass Wilhelm Schiefer monatelang Nachbar von Saleh A. war, dem mutmaßlichen Drahtzieher der geplanten Düsseldorfer Terroranschläge, lässt den Puls des Künstlers nicht höher schlagen. „Schon gar nicht im Nachhinein“, sagt der Vorster schmunzelnd. Er lebt mit den Flüchtlingen am Bäumchensweg quasi Tür an Tür — und hat bisher keine negativen Erfahrungen mit den jungen Männern gemacht. „Manchmal grüßt man sich per Kopfnicken, wenn man sich begegnet, aber sie bleiben meist unter sich, auffällig ist, dass sie sehr oft telefonieren“, sagt Schiefer.
Eine weitere Anwohnerin, die nicht namentlich erwähnt werden möchte, zeigt sich erschrocken ob der Nachricht, dass ein mutmaßlicher Terror-Drahtzieher ums Eck wohnte. „Es ist ein komisches Gefühl, dass der Terror sozusagen vor der eigenen Haustür angekommen ist, aber es wäre falsch, nun alle Flüchtlinge zu beschuldigen.“ Ein älterer Mann, der nur wenige Meter vom Flüchtlingsheim entfernt wohnt, gibt an, dass es gerade freitags- und samstagsabends laut in der Unterkunft werden könne. Unter der Woche seien die Bewohner gerade tagsüber jedoch meist unauffällig.
Am Abend zuvor zucken die meisten Bewohner des Flüchtlingsheims mit den Schultern, als sie auf Saleh A. angesprochen werden. Die Nachricht, dass ihrem ehemaligen Mitbewohner Verbindungen zur Terror-Organisation „Islamischer Staat“ nachgesagt werden, hat sich zu diesem Zeitpunkt noch nicht verbreitet.
Dass der 28-Jährige gar nicht mehr in Kaarst lebte, fiel im Rathaus Ende März auf. „Zu diesem Zeitpunkt wurden erstmals keine Leistungen abgerufen“, erklärt Bürgermeisterin Ulrike Nienhaus. Auf Nachfragen hin habe sich dann ergeben, dass Saleh A. nicht mehr unter der Adresse am Bäumchensweg wohnte, wo er am 26. März 2015 nach dem entsprechenden Zuweisungsbescheid durch die Bezirksregierung Arnsberg eingezogen war. Passiert es öfter, dass Flüchtlinge „verschwinden“? „Dass jemand gar nicht mehr auffindbar ist, kommt bei uns sonst nicht vor“, verneint Nienhaus, „bei Einzelzuweisungen kommt es gelegentlich vor, dass jemand sich andernorts bei Verwandten aufhält — im Regelfall wird uns das aber mitgeteilt.“
In der städtischen Unterkunft am Bäumchensweg leben derzeit 54 Männer — darunter 20 mit syrischer Staatsangehörigkeit —, wie Ulrike Nienhaus sagt. Sie würden durch Mitarbeiter der Stadtverwaltung betreut. So schaue etwa der Leiter des Sozialbereiches, Frank Schnitker, selbst regelmäßig in der Unterkunft vorbei, um nach dem Rechten zu sehen. Auch die psychosoziale Beraterin für Flüchtlinge, Susanne Enkel, kümmere sich. Und mehrmals pro Woche sei zudem ein Objektbetreuer vor Ort, der bei den Bewohnern anklopfe und festhalte, wenn jemand nicht anzutreffen sei.
Das System sei „vom Prinzip gut“, findet Nienhaus. „In der kommenden Woche werden wir zusammen mit dem Rhein-Kreis Neuss und den anderen Kommunen abstimmen, ob wir das so beibehalten oder noch irgendwo optimieren müssen“, kündigt sie an. Auch Landrat Hans-Jürgen Petrauschke kündigt weitere Schritte an. „Wir können uns doch in so einer Situation vom Datenschutz nicht verrückt machen lassen. Was wir jetzt benötigen, ist doch Datenaustausch und Vernetzung, um unsere Bürger zu schützen. Wenn wir das jetzt nicht tun und leisten, dann versteht uns kein Bürger mehr“, sagt er.
In den Ortsgruppen des sozialen Netzwerks Facebook war Saleh A. gestern nur vorübergehend Thema. Ähnlich wie die Nachbarn am Bäumchensweg setzte sich auch hier in der Diskussion rasch der Gedanke durch, dass Flüchtlinge nicht aufgrund eines Beschuldigten unter Generalverdacht gestellt werden dürften. Schon bald wandte sich die Aufmerksamkeit wieder alltäglichen Beobachtungen zu.
Besonnen fällt auch die Reaktion des Vereins „Flüchtlingshilfe Kaarst“ aus. „Unter unseren Mitgliedern wird das Thema nicht weiter diskutiert“, sagt der stellvertretende Vorsitzende Wolfgang Mielke, dem auch nicht bekannt ist, dass jemand aus dem Verein Saleh A. persönlich gekannt hätte. „Unter den vielen Menschen, die zu uns kommen, sind genau so viele schlechte Menschen wie durchschnittlich in Deutschland leben“, betont er und versichert: „Deswegen wird unser Verein seine Aktivitäten ganz sicher nicht zurückschrauben.“
Samir Bouaissa, Vorsitzender des Landesverbandes NRW im Zentralrat der Muslime, unterstreicht: „Natürlich können wir alle — wie immer — den Menschen, die da kommen, nur vor den Kopf schauen. Dennoch dürfen wir nicht zulassen, dass die jüngsten Enthüllungen über eine konkrete Terrorbedrohung dazu genutzt werden, gegen Flüchtlinge zu hetzen. Nahezu alle kommen doch, weil sie bei uns Schutz vor Krieg und Gewalt suchen.“
Wenn nun potenzielle Attentäter auf den Flüchtlingsrouten eingeschleust würden, dann diene das letztlich dem Ziel, zu spalten. Hier die europäische Gesellschaft, die sich gegen die Zuwanderer stelle, dort die Asylsuchenden, die sich ausgegrenzt fühlten und sich somit leichter radikalisieren ließen.