Düsseldorfer hört mit Rheinbahn intim – Originelle Gespräche belauscht in Bus und Bahn
Düsseldorf · Der Düsseldorfer Erkan Dörtoluk hört Gespräche in der Straßenbahn mit und twittert die originellsten Gedanken und Gesprächsfetzen in die Welt.
Es ist etwa acht Jahre her. Da kam ihm die Idee, aus der mittlerweile ein Twitter-Account mit 2614 Tweets und 59 200 Followern wurde: Der Düsseldorfer Erkan Dörtoluk belauscht Gespräche in der Rheinbahn und anderen öffentlichen Verkehrsmitteln. Schnappt er dabei etwas Originelles auf, so „haut er es manchmal direkt auf Twitter raus“, wie er sagt. Seine Initialzündung war ein von ihm mitgehörtes Gespräch in einer im Stau stehenden Straßenbahn. Die Gespräche waren weitgehend verstummt, nur zwei ältere Damen setzten ihre Lästerei über Familie und Bekannte ungehemmt fort. Wer da wen betrügt, wer welche Geldprobleme hat…
Das ist so originell, das darf nicht verloren gehen, dachte sich der heute 46-Jährige und postete den Gesprächsinhalt, damals noch auf Facebook. Kurze Zeit später wechselte er auf Twitter. „Da ist mehr Livegefühl, da kommt es frisch auf den Tisch“, sagt der gelernte Mediengestalter, der beruflich „immer was mit Internet gemacht hat“, Content produziert, Webseiten betreut. Und mit seinem so ganz nebenbei erstellten Twitter-Account „rheinbahn intim“ und dem Slogan „Fallobst vom ÖPNV“ einen Nerv traf. Nicht nur Düsseldorfer lesen und retweeten das, seine Follower sitzen auch in Österreich oder der Schweiz. Und gerade erst hat Dörtoluk festgestellt, dass sogar die Bibliothek der Universität Berkeley, Fakultät German Studies, sein Buch mit dem „Best of“ seiner Fundstücke in ihren Bestand aufgenommen hat.
Durch sein bewusstes Hinhören und Dokumentieren weiß Dörtoluk ziemlich gut, was die Leute interessiert. „Politik wird praktisch gar nicht diskutiert“, sagt er. Die Jüngeren redeten vor allem über Youtube. „Da fällt es mir manchmal schwer zu folgen, wenn sie über Monte reden, und ich denke, das ist doch dieser Joghurt. Das ist aber eben auch ein Youtube-Star.“ Er beobachtet die Sprache, wie er es ausdrückt. Und was er dabei positiv wahrnimmt: die Zahl der Schimpfwörter ist stark zurückgegangen. Ausdrücke wie „Hurensohn“ oder auch „Du Opfer“ höre er immer weniger. Warum das so ist, darüber kann auch er nur spekulieren. „In Social Media wird mit harten Bandagen gekämpft“, sagt er mit Blick auf die Hate-Speech im Internet. Wenn Menschen direkt miteinander reden, sei das anders.
Aber er nimmt auch besonders stark wahr, dass die Privatsphäre den Menschen offenbar nicht mehr allzu viel bedeutet. Dinge, mit denen man früher zurückhaltender gewesen wäre, werden heute in der Öffentlichkeit ausgeplaudert. Zum Beispiel, wenn jemand erzählt, dass und warum er im Gefängnis war und was er dort erlebt hat. Oder private finanzielle Details preisgibt. Dass die Menschen im öffentlichen Raum so locker mit ihrer Privatsphäre umgehen, hat etwas mit Social Media zu tun, glaubt Dörtoluk. Die Menschen hätten sich schrittweise angewöhnt, auch Privates freizugeben. Es sei eine Lust, sein Leben zu teilen, da sinke offenbar auch im öffentlich geführten Gespräch die Hemmschwelle.
Wie geht er vor, um in Bus, Bahn oder an Haltestellen seine Zitatschätze aufzuschnappen? „Das überlasse ich ganz dem Zufall. Ich setze mich einfach hin und höre zu.“ Und wenn dann was Originelles kommt, tippt er es direkt in sein Handy, redigiert es gegebenenfalls später noch leicht. „Wenn in jedem Satz „Ey Alter“ gesagt wird, muss man das nicht immer wiederholen. Aber es gibt eben auch Sätze, die kann er „sofort raushauen“ wie etwa diesen: „Schatz, das ist vegan, das können aber auch Männer essen.“
In vielen Gesprächen geht es um Ernährung. „Das ist zu einer Ersatzreligion geworden“, sagt Dörtoluk. Da streiten sich die Menschen erbittert, ob das Würzen mit Koreander lecker oder eklig ist. Und er weiß auch längst, dass selbst diejenigen, die nach außen auf Hafermilch oder Mandelmilch schwören, weil das doch aus Gründen der politischen Korrektheit (Nachhaltigkeit) so angesagt ist, oft nicht wirklich dahinter stehen. Wenn sie ihrem Gesprächspartner gestehen, dass sie doch wieder gesündigt und Kuhmilch getrunken haben. Sehr oft fährt Dörtoluk einige Stationen durch die Düsseldorfer Innenstadt. „Das ist purer Hedonismus. Die Themen sind Shopping, Liebe, Vergnügen.“ Wenn man ein bisschen Drama haben wolle, müsse man außerhalb der städtischen Kurzstrecke fahren, sagt er. Oder von Düsseldorf nach Köln. Es sei eigentlich immer die persönliche Lebenswelt, die die Hauptrolle spiele. Bei Jugendlichen sei allerdings in jüngster Zeit das Thema Klima hinzugekommen.
Und hat er auch schon traurige Gespräche mitverfolgt? Ja klar, wenn etwa eine Mutter erzählt, dass sie ihr Kind vom Sport abmelden muss, weil sie Hartz IV bezieht. Traurig findet er aber auch, wenn die von ihm Belauschten ihre völlige Ahnungslosigkeit etwa über biologische Grundsätze der Fortpflanzung unter Beweis stellen: Sagt ein etwa 16-Jähriger: „Du, meine Freundin ist schwanger, und jetzt habe ich sie glaub ich noch mal geschwängert.“ Der andere steigt drauf ein: „Wie, jetzt zwei Kinder. Das kannst du dir doch nicht leisten.“ Oder da sind Verschwörungstheorien wie diese: „Du Mechthild, da im Internet, da sitzt ein Krake, der hat einen Knopf und wenn er den drückt, dann ist unser ganzes Bargeld weg. Auch die Rente.“
Ist Dörtoluk nicht auch manchmal versucht, sich einzumischen? Versucht ja, sagt er, doch er habe es bisher nicht getan. Er erinnert sich an ein Gespräch eines durchaus engagierten Vaters, der seinem etwa achtjährigen Sohn in der Bahn bei den Hausaufgaben helfen wollte. Und bei der Rechenaufgabe, was denn 3 hoch 3 sei, das Ergebnis 6 als Lösung vorschlug. Und bei der Frage, wie viele Bundesländer die Bundesrepublik denn wohl habe, vermutete: Das sind doch neun Nationen. „Das lief in die falsche Richtung“, sagt Dörtoluk. „Es ging einerseits um die Bildung des Kindes, andererseits aber auch um die Autorität des Vaters, die ich ihm durch ein Einmischen genommen hätte. Da habe ich lieber nichts gesagt.“
Und wie findet die Rheinbahn sein Projekt? „Gut, sagt Dörtoluk. Als ich vor zwei Jahren mein Buch herausbrachte, haben die sogar einen Sonderwagen zur Verfügung gestellt, in dem ich eine Autorenlesung machen durfte.“