Mehr Kinder in Heimen und Pflegefamilien

Die Kosten steigen, weil immer mehr Familien Erziehungshilfen benötigen. Immer häufiger müssen Kinder und Jugendliche anderweitig untergebracht werden.

Sprockhövel. Soziale Brennpunkte gibt es im Grunde nicht, die Durchschnittseinkommen gehören zu den höchsten im Lande, doch auch in dem scheinbar behüteten Sprockhövel gibt es immer mehr Eltern, die Erziehungshilfen brauchen.

Wenn das nichts mehr nutzt, müssen Kinder in Pflegefamilien oder in Heimen untergebracht werden. Die Zahlen sind in diesem Jahr noch einmal deutlich gestiegen. Zu den bis dato sieben Heimunterbringungen sind neun weitere Fälle hinzugekommen. Zugleich wurden elf weitere Kinder in Pflegefamilien untergebracht.

Sieben, für die aus anderen Städten eine Anfrage vorlag, vier aus Sprockhöveler Familien. "Das war zur Abwendung von Kindeswohlgefährdung dringend erforderlich”, heißt es im Fachjargon.

Das Jugendamt muss sein Budget ständig aufstocken. In diesem Jahr um 300.000 Euro, für nächsten Jahr nach derzeitigem Stand um rund 600.000 Euro. "Natürlich versuchen wir kostenbewusst zu handeln, aber im Mittelpunkt steht die Frage, was ist für das Kind aus pädagogischer Sicht erforderlich”, sagt Evelyn Müller, Fachbereichsleiterin Soziales.

Eine Deckelung der Haushaltsstellen gebe es anders als vor Jahren in Bremen zum Glück nicht. Dort machte der Todesfall des kleinen Kevin Schlagzeilen. Damals reagiert das Jugendamt auf die dramatische Situation in der Familie zu spät. Arbeitsüberlastung soll eine Rolle gespielt haben.

Derzeit wird in Sprockhövel natürlich auch der Wuppertaler Fall des toten Pflegekindes Talea aufmerksam beobachtet. Dass die steigende Zahl der Heimunterbringungen in Sprockhövel möglicherweise mit einem Strategiewechsel in der Jugendhilfe zu tun haben könnte, schließt Jugendamtsleiterin Ilse Crefeld aber aus.

Fünf der zusätzlich in Heimen untergebrachten Kinder kommen aus Familien, die nach Sprockhövel gezogen und für die wir damit zuständig geworden sind, vier direkt aus ihrer Ursprungsfamilie in Sprockhövel.”

Dort seien alle Maßnahmen durch Beratung oder Erziehungsbeistände (das Jugendamt arbeitet dabei auch mit Institutionen wie Erziehungsberatungsstelle und Heilpädagogisches Zentrum zusammen) ausgereizt gewesen.

Ein Problem, das der allgemeine Soziale Dienst des Jugendamtes zunehmend hat: Eltern müssen erst einmal dazu gebracht werden, die Hilfe auch anzunehmen.

"Gerade bei Jugendlichen passiert es, das Eltern bereits völlig resigniert haben, wenn wir hier durch Dritte auf Probleme aufmerksam werden”, sagt Ilse Crefeld. "Wenn Betroffene erst mal 16 sind, muss schnell gehandelt werden.” Dann gehe oft kein Weg an einer Heimunterbringung vorbei.

Neu in Pflegefamilien werden vorrangig kleinere Kinder bis zum 11. oder 12. Lebensjahr untergebracht. Später sind sie kaum noch bereit, sich auf ein Familiensystem einzulassen, ist die Erfahrung der Jugendhelfer. "Ein wichtiges Kriterium bei der Überprüfung, ob sich eine Pflegefamilie eignet, ist dann auch, ob das Kind eine ständige Bezugsperson hat und ob es von der Altersstruktur mit Kindern aus der Familie zusammenpasst”, erklärt Ilse Crefeld.

In Sprockhövel gebe es traditionell einen großen Kreis von interessierten und geeigneten Personen, die sich meldeten, um ein Pflegekind aufzunehmen. Aktuell gibt es 32 so genannte "Vollzeitpflegefälle” in Pflegefamilien, zwei weitere kommen demnächst dazu. Ilse Crefeld: "Wir achten sehr stark darauf, dass die Familien alle Hilfen bekommen, die sie benötigen und sind froh, dass sie sich auch untereinander regelmäßig zum Erfahrungsaustausch treffen.”

Dass jemand eine solch verantwortungsvolle und umfassende Aufgabe wegen des Pflegegeldes übernehmen könnte, kann sie sich nicht vorstellen. Die Kosten, die durch ein Pflegekind für das Jugendamt entstehen, variieren sehr stark - zwischen 750 und 3.600 Euro monatlich.

Denn neben Pflegegeld für die Familie kommen nicht selten zusätzliche therapeutische Leistungen hinzu. Handelt es sich etwa um ein autistisches Kind, ist beispielsweise eine Integrationshilfe auch in der Schule erforderlich.

"Manchmal sind es Grenzfälle, die Maßnahmen erforderlich machen, damit das Kind überhaupt in einer Pflegefamilie bleiben kann”, sagt die Jugendamtsleiterin. Dennoch ziehe man das einer Heimunterbringung aus pädagogischen Gründen im Regelfall vor.

Betreut werden die 32 Pflegefamilien übrigens von einer einzigen Jugendamtsmitarbeiterin, die nebenbei auch für Adoptionen zuständig ist. Für Ilse Crefeld eine sinnvolle Verbindung, denn teilweise schwenkten Familien, die ein Kind adoptieren wollten auf eine Pflegekindverhältnis um.

Die bürokratischen Hürden für Adoptionen sind wesentlich höher. Inwieweit eine Betreuerin noch genüge, wenn sich die Zahl der Pflegefamilien weiter erhöhe, werde man sorgfältig beobachten.