Kerpen/Elsdorf. Wie die Welt nach Hambach aussehen könnte
Kerpen/Elsdorf. · Die Gegenwart der Braunkohle: Das ist zum Beispiel die Räumung der Baumhäuser im Hambacher Forst. Die Zukunft des Rheinischen Reviers beginnt in Elsdorf-Heppendorf mit kühnen Plänen.
Zwischen dem Hambacher Forst und Elsdorf-Heppendorf liegen acht Kilometer – aber an diesem Tag auch Welten. Im Wald und an seinem Beispiel wird zwei Tage nach dem tödlichen Absturz des 27-jährigen Journalisten weiter um die Gegenwart der Braunkohle gestritten. Im Forum Heppendorf geht es um die Zukunft des Rheinischen Reviers, wenn die Braunkohle hier eines Tages keine Rolle mehr spielt.
Die Gegenwart der Braunkohle: Das ist zum Beispiel die am Freitag erfolgte Beseitigung von Barrikaden auf den Waldwegen. Zwar bleibt die Räumung der Baumhäuser weiter ausgesetzt. Aber die Polizei Aachen twittert am Morgen: „Die Notwendigkeit von Rettungswegen hat sich gezeigt. RWE ist rechtlich dazu verpflichtet, diese Wege im Wald freizuhalten.“ Beamte würden die Arbeiten schützen und auch „Personen von Tri- und Monopods holen müssen“. Dabei handelt es sich um Stelen-Konstruktionen über den Waldwegen. Später postet die Polizei Fotos von mit Fäkalien beworfenen Beamten.
Am Abend zuvor hatte RWE-Chef Rolf Martin Schmitz in der ZDF-Sendung „Maybrit Illner“ bekräftigt, an der geplanten Rodung des Hambacher Forstes festhalten zu wollen. Ein kurzfristiger Verzicht würde das Unternehmen bis zu fünf Milliarden Euro kosten. „Die Annahme, dass der Forst gerettet werden kann, das ist Illusion“, sagte Schmitz. Er sei tief betroffen, dass für eine solche Illusion ein Mensch gestorben sei. In die genannte Summe fließe nicht nur der Wert der nicht geförderten Braunkohle ein. Es müssten auch große Abraummengen herbeigeschafft werden, um die Abbruchkante des Braunkohletagebaus zu stabilisieren. Ein RWE-Sprecher führt am Freitagmorgen zusätzlich noch Personal- und Sozialkosten an.
Bisher 1,5 Milliarden Euro
für den Strukturwandel
Vier bis fünf Milliarden – das wäre zum jetzigen Zeitpunkt ein Vielfaches der 1,5 Milliarden Euro, die die Bundesregierung bisher insgesamt für den Strukturwandel in den Braunkohleregionen zur Verfügung gestellt hat. Dazu zählen aber neben dem Rheinischen auch das Lausitzer, das Mitteldeutsche und das schon nicht mehr aktive Helmstedter Braunkohlerevier.
Und der Osten hat sich schon positioniert – „mit viel Geschrei“, wie Michael Kreuzberg sagt, CDU-Landrat im Rhein-Erft-Kreis und Vorsitzender der Gesellschafterversammlung der Zukunftsagentur Rheinisches Revier. Darum verständigen sich am Freitagnachmittag auch die nach Aufnahme der Stadt Mönchengladbach nun 15 Gesellschafter des Rheinischen Reviers auf ein Eckpunktepapier für ein Wirtschafts- und Strukturprogramm. Der Adressat: vor allem die Kohlekommission in Berlin.
Denn im Revier mit seinen drei Tagebauen „steht der größte Transformationsprozess der nächsten Jahre innerhalb Europas an“, sagt Kreuzberg, selbst Mitglied der Kohlekommission. Das 42-seitige Papier nennt vier Zukunftsfelder, die den Strukturwandel prägen sollen – an erster Stelle Energie und Industrie, „denn wir wollen die energieintensive Industrie hier erhalten“, so Christoph Dammermann, Staatssekretär im NRW-Wirtschaftsministerium. Weitere Felder: der Landschaftsumbau und Infrastrukturausbau, die Ressourceneffizienz und das Agrobusiness sowie das weite Feld der Innovation und Bildung mit den Hochschulen in der Region und dem Forschungszentrum Jülich.
Hinterlegt sind mittlerweile rund 130 Projekte. Aber eine Priorisierung soll es noch nicht geben, um keine verfrühten Verteilungskämpfe zu beschwören. Kreuzberg geht es erst einmal darum, in Berlin ein Bewusstsein dafür zu schaffen, dass strukturelle Hilfen notwendig sind: für Stromtrassen, Digitalnetze und Verkehrswege. Sonst drohten zarte Pflänzchen der Neuansiedlungen wieder kaputtzugehen. „Die Kommunen schaffen das nicht alles.“
Summenforderungen werden an diesem Nachmittag noch nicht laut. Nur so viel: „RWE erzielt eine Wertschöpfung von 1,5 Milliarden Euro pro Jahr“, sagt Kreuzberg. Will heißen: Diese Größenordnung muss kompensiert werden, wenn es die Braunkohle eines Tages nicht mehr gibt. Die 1,5 Milliarden des Bundes, die bisher für den Braunkohle-Strukturwandel zur Verfügung stehen, vergleicht der Landrat mit einer Anzahlung im Kaufhaus: „Man lässt 30 Euro da für einen Anzug, der 300 Euro kostet.“