Dortmund Wie Dortmund gegen den „Nazi-Kiez“ kämpft
Dortmund · In Dorstfeld markieren stramm Rechte ihr Revier. Die Polizei geht dagegen vor und prüft jetzt eine Überwachung mit Kameras. Innenminister Reul: „Null Toleranz und kein Millimeter Raum“ für Nazi-Banden.
Dass die Straßenecke Thusnelda-/Emscherstraße mit Wandschmierereien als „Nazi-Kiez“ postuliert wird, ist inzwischen auch außerhalb der Ruhrmetropole weithin bekannt. Und doch erschüttert beim Ortstermin, dass der tiefbraune Anspruch auf dieses Revier nicht nur einmal, sondern zigfach verewigt ist. Mal zierlich und fast übersehbar, mal in meterhohen Buchstaben. Ein Fenster geht auf. „Die Bilder gibt es alle schon im Internet. Sind keine exklusiven Schnappschüsse!“ Es ist Michael Brück, Vize-Bundesvorsitzender der Partei „Die Rechte“. Und einer der Bewohner im „Nazi-Kiez“.
Dass der Besuch von Polizei und Reporterin sogleich ein knappes Dutzend Bewohner an die Fenster von einem der drei Häuser lockt, ist kein Zufall. Er wurde angekündigt in dem Moment, als der blau-silberne Bully auf den zentralen Wilhelmplatz in Dorstfeld, gleich um die Ecke der Thusneldastraße, rollte. Ein junger Mann mit Smartphone begleitete die Streife in einigem Abstand von dort bis zum Eckhaus, dessen Fassade so abblättert, dass kaum mehr Putz vorhanden ist. Ein bisschen Überwachung muss schon sein, wenn man ein Hoheitsgebiet beanspruchen will. Und möglich, wenn eine Menge Tagesfreizeit vorhanden ist.
Zahl der politisch motivierten Straftaten in der Stadt sinkt
Dieses Gebaren und die Schmierereien sind Polizeipräsident Gregor Lange ein Dorn im Auge. Beides will er – in enger Zusammenarbeit mit der Stadt – unterbinden. Er prüft jetzt unter anderem, ob es an der Ecke Thusnelda- und Emscherstraße eine Videobeobachtung geben kann. Das Besondere: Es werden nicht nur Bilder aufgezeichnet, sondern am Monitor jederzeit live verfolgt. So kann die Polizei sofort eingreifen, wenn sich Straftaten anbahnen.
Dabei ist der sogenannte „Nazi-Kiez“ kein Kriminalitätsbrennpunkt. Generell sank die Zahl der politisch motivierten Straftaten in Dortmund seit ihrem Höchststand 2015 von 441 auf 264 im vergangenen Jahr – ein Minus von mehr als 40 Prozent. Die Zahl der Gewalttaten ging sogar um zwei Drittel zurück. Doch Lange gibt unumwunden zu: In Dorstfeld herrschten keine geordneten Verhältnisse, sondern lediglich eine durch massive Polizeipräsenz hergestellte Ordnung. Selbst so gebe es neben massiver Sachbeschädigung immer wieder Einschüchterungsversuche Andersdenkender, Bedrohung, auch Übergriffe.
Für den Polizeipräsidenten ist diese Straßenecke im Westen seiner Stadt „ein sehr dickes Brett“. Lange erklärt: „Wir gehen gegen eine über Jahrzehnte etablierte Szene vor.“ Sie reicht zurück in die 80er-Jahre und zirkelt immer wieder um die Figur Siegfried Borchardt, auch SS-Siggi genannt. Letztlich ging von ihm, der im jetzigen „Nazi-Kiez“ schon lange lebt, auch dessen Sogwirkung auf andere Persönlichkeiten aus, so dass in den drei Häusern und einigen umliegenden Straßen insgesamt rund 30 bis in die Stiefelspitzen ideologisierte Nazis hausen – die Anzahl ist laut Polizei über die vergangenen zehn Jahre relativ konstant, die Köpfe indes wechseln von Zeit zu Zeit. Begünstigt wird die Ballung zudem vom Eigentümer der drei Häuser, der die Nazi-Wohngemeinschaften vordergründig wegen ihrer feinen Zahlungsmoral und Hilfsbereitschaft duldet, deren Gesinnung aber offenkundig billigt. „Er hätte Möglichkeiten“, stellt Lange klar. „Die nutzt er bewusst nicht.“
Das sieht im Rest von Dorstfeld ganz anders aus, das wegen einiger Dutzend Versprengter nicht als brauner Moloch abgetan werden mag. Es gebe eine „Sozialhygiene“, sagt Karsten Plenker, Leiter des Dortmunder Staatsschutzes. Sie manifestiere sich in betont multikulturellen Straßenfesten auf dem Wilhelmplatz, aber auch in handfestem Protest, wenn mal ein Nazi-Kiez-Kind in eine Kita des Stadtteils gehen sollte.
Die besondere Strahlkraft der Dortmunder Neonazi-Szene habe immerhin den einen Vorteil, dass die Wölfe „sich nicht mehr den Schafspelz überziehen können“, so Plenker. Die andernorts erfolgreichen Versuche, in die Mitte der Gesellschaft zu sickern, fruchten hier nicht. Jeder weiß, was von diesen Figuren zu halten ist. Es handelt sich, so der Polizeipräsident, um eine „isolierte, aber gefährliche Gruppe“.
Denn in den abgetakelten Häusern an der Ecke Thusneldastraße wohnt „ein Nest politischer Brandstifter“, wie Staatsschutz-Chef Plenker sie nennt. Neben Brück etwa der „Rechte“-Bundesvorsitzende Sascha Krolzig. Die Parteifinanzierung dürfte Haupteinnahmequelle des Kiezes sein. Denn der Chef hat laut Polizei zwar Jura studiert, wurde nach dem Staatsexamen aber nicht zum Referendariat zugelassen, weil er aufgrund seiner Vorstrafen nicht für würdig erachtet wurde. Jura-Student Brück dräut das gleiche Schicksal. Manch anderer hat einen Job, ansonsten kommt Geld wohl durch die Organisation von Kampfsportevents herein und durch den Verkauf von Reichskriegsflagge-farbenen Sturmhauben oder „Nazi-Kiez“-Aufklebern über den richtungsweisend benannten „Antisem-Versand“ im Internet herein.
Es scheint ein auskömmliches Leben zu sein. Seit über einem Jahrzehnt. Wird nicht mehr mit ausreichend Hochdruck gegen die Hetzer und auch Gewalttäter vorgegangen? Diesen Eindruck produzierten Bilder von Nazi-Aufzügen in Marten und Dorstfeld im vergangenen Herbst, wo die Rechtsextremisten Pyrotechnik abbrannten und Banner hochhielten: „Wer Deutschland liebt, ist Antisemit“. Die Demos riefen sogar den Landtag auf den Plan. Innenminister Herbert Reul (CDU) stellte sich vor die Dortmunder Polizei und sagte, es seien genügend Einsatzkräfte vor Ort gewesen, die Sprüche seien aber strafrechtlich nun einmal nicht relevant.
„Wer Deutschland liebt, ...“ – 17 Anklagen nach Rechten-Demo
Damit, erklärt Polizeipräsident Lange jetzt, wollten sich die Ermittler aber nicht zufrieden geben und sezierten in Kleinstarbeit die Aufnahmen jener Nacht – inwzischen gibt es doch 17 Anklagen gegen Versammlungsteilnehmer wegen Volksverhetzung. Und man habe seinem langen Auflagenkatalog für Anmelder rechter Kundgebungen – im vergangenen Jahr und aufgrund der Europawahl waren es in der Stadt insgesamt 113, viele davon mit weniger als zehn Teilnehmern – ein weiteres Verbot hinzugefügt: Der bewusste Slogan darf auf keiner Demo in Dortmund mehr benutzt werden. Dies sei, so Lange, „Beleg dafür, dass wir nichts unversucht lassen“.
Im Kräftemessen mit den Nazi-Kiezlern will die Polizei beweisen, dass der Rechtsstaat stärker ist. Und immer wieder gelingt das. Wie bei dem 24-jährigen Intensivtäter, der im vergangenen Jahr maßgeblich zum von der Gruppe verbreiteten Klima der Angst beigetragen hatte. Sämtliche größeren und kleineren Vergehen des jungen Mannes bündelte die „Soko Rechts“, die Lange 2015 einrichtete. Jetzt wird er für drei Jahre weggesperrt. Auch „Rechte“-Frontmann Krolzig erwartet bald wohl eine Haftstrafe von über einem Jahr wegen Volksverhetzung und Körperverletzung, wenn das Urteil Rechtskraft erlangt.
Szeneaussteiger gibt es auch im Dorstfelder „Nazi-Kiez“ immer mal wieder. Es ist vielleicht symptomatisch, dass dort keine glücklich verheirateten Paare mit Kindern mehr wohnen. Aber bei den Gallionsfiguren, die von dort ihre umstürzlerischen Strippen ziehen, hat man im Dortmunder Präsidium keinerlei Hoffnung auf Umdenken. „Diese Ideologie zu knacken, ist eine gesellschaftliche Aufgabe“, verdeutlicht Lange. Die Polizei könne nur dafür sorgen, dass die Ideologie nicht in Straftaten münde. Mit allen erdenklichen Mitteln. Die Arbeitsgruppe, die in seiner Behörde eine mögliche Überwachung per Kamera prüft, komme gut voran. „Es gibt gute Argumente für eine Videobeobachtung“, erklärt der Polizeipräsident. Denn der öffentliche Raum müsse nun einmal öffentlich zugänglich sein für absolut jedes Mitglied der freiheitlichen, demokratischen Gesellschaft. Und könne nicht abgeschottet werden von einer Splittergruppe, die nicht Teil dieser Gesellschaft sein will.
Unterstützung darf der Behördenchef bei seinem Kampf aus dem NRW-Innenministerium erwarten. „Diese Nazi-Banden muss man mit allen Mitteln des Rechtsstaates bekämpfen. Das heißt:. Null Toleranz, kein Millimeter Raum“, sagt Herbert Reul (CDU). „Das ist genau das, was die Soko Rechts in Dortmund macht.“ Aber auch er wisse: Gewinnen kann man hier nicht kurzfristig. Die Beamten vor Ort brauchten „Geduld, Kraft und Haltung“.