Bahn-Streik: Gelassenes Warten am Bahnsteig

Dienstagmorgen am Hauptbahnhof: Viele Wartende, viele Verspätungen und nur etwas Hektik.

Wuppertal. Seit einer knappen Stunde steht Sandra Wotzka an Gleis 2 des Hauptbahnhofs. Die 21-Jährige wartet frierend auf den Regionalexpress nach Münster, der laut Fahrplan um 7.56 Uhr abfahren sollte. "Ich habe extra mehr Zeit eingeplant", sagt die junge Frau, die in Münster studiert.

Sandra Wotzka gehörte gestern Morgen zu denjenigen, die trotz Streikankündigung der Gewerkschaft Deutscher Lokomotivführer (GDL) den Weg zum Bahnhof auf sich genommen hatten - in der Hoffnung, einen passenden Zug zu erwischen. An allen Gleisen bot sich ihnen das gleiche Bild: mal fuhr ein Zug ein und wieder ab, immer wieder tönten Durchsagen aus den Lautsprechern: 119 Minuten Verspätung eines ICE, mehrere Regionalbahnen fallen aus. Diese Ansagen gehörten jedoch eher zur Ausnahme - oft wurden nur Verspätungen bis zu einer halben Stunde angekündigt.

Corina Skoda und Dietra Schulenburg warteten ebenfalls an Gleis 2. Die beiden Auszubildenden zur Bankkauffrau mussten nach Düsseldorf. "Ich sehe nicht ein, bei den hohen Spritpreisen mit dem Auto zu fahren", sagte Corina Skoda. Auch Carola Schmidt blickte immer wieder nervös zur Anzeigentafel hoch. Sie hatte Freunde besucht und wollte nach Berlin zurück. Gut gelaunt war sie nicht, was sich jedoch schlagartig änderte, als die Durchsage "ICE nach Berlin: fünf Minuten Verspätung" aus den Lautsprechern tönte.

Völlig aufgeregt stiegen ausländische Gäste an Gleis 1 aus. "Was machen?", fragte Igor Morev in brüchigem Deutsch. "Unser Flugzeug geht um 11 Uhr aus Düsseldorf." Zusammen mit seiner Tochter wollte er nach Moldawien zurück. Auch Khawla Shraim war nervös. Sie befürchtete, ihren Flug nach Jordanien zu verpassen. Dort wollte sie ihre Kinder und Familie besuchen, die sie seit einem Jahr nicht gesehen hat. Im DB-Reisezentrum informierte sie sich, ob der Zug pünktlich sein wird. Wenige Minuten später strahlte die Frau - es sah gut aus.

Das Reisezentrum im Bahnhofsgebäude ist neben dem Infoschalter auf dem Bahnsteig ein Anlaufpunkt für ratlose Fahrgäste. "Um diese Uhrzeit ist sonst aber mehr Betrieb", sagte ein Bahn-Mitarbeiter. Auch wenn sich einige Wuppertaler aufregten, die meisten blieben dennoch gelassen.

So auch Karl-Heinz Henkel und Hans Weskamp - beide mit einem dicken Rucksack bepackt - sind auf dem Weg in den Urlaub nach Österreich. "Eine Bergwandertour von Hütte zu Hütte", sagte Henkel. Ihr ICE sollte planmäßig um 9.14 Uhr fahren und hatte nur eine Viertelstunde Verspätung - was für Heiterkeit bei den beiden Urlaubern sorgte: "Mit so einer Wartezeit kann man bei einem Streik doch echt zufrieden sein." Auch die wartende Studentin Sandra Wotzka, die nach Münster wollte, durfte sich endlich freuen: Ohne Aufpreis konnte sie um kurz vor 9 Uhr in einen IC einsteigen.

Kein Streik Warnstreiks wird es heute keine geben. Die Gewerkschaft der Lokführer (GDL) hatte verlangt, dass die Bahn ihre Blockadehaltung aufgibt und mit ihr über den Fahrpersonaltarifvertrag verhandelt.

Einladung Gestern hat Bahn-Chef Hartmut Mehdorn reagiert und die Gewerkschaften zu neuen Verhandlungen am Donnerstag aufgefordert. Er hat Transnet, GDBA und GDL entsprechende Einladungen zugesandt.

Schon erstaunlich: Die meisten Wuppertaler, die Dienstagmorgen auf ihre Züge warteten, hatten Verständnis für den Streik der Bahn-Angestellten. Diese Haltung verwundert jedoch nur auf den ersten Blick. Viele Menschen im Tal arbeiten im gewerblichen Bereich und sind ebenfalls nicht auf Rosen gebettet. Das erklärt, weshalb sie dem Arbeitskampf der Bahner zumindest mit Respekt, wenn nicht gar Sympathie begegnen. Die Wuppertaler haben in der Vergangenheit leidvoll erfahren, wie schnell Jobs weg sein können und wie schwer es ist, für seine Arbeit auch eine korrekte Bezahlung zu erhalten. Diese Erfahrungen machen die Bahnangestellten derzeit wohl auch. Was sind dagegen ein paar Minuten Wartezeit am Bahnhof?