Die Millenium-Bürgermeisterin 80, 40, 20 - das politische Leben der Bürgermeisterin Ursula Schulz

Im Porträt Mit der Kommunalwahl im nächsten Jahr geht im Wuppertaler Stadtrat die Ära einer Frau zu Ende, die stilprägend war für die politische Landschaft ihrer Wahlheimatstadt.

Ursula Schulz feierte in diesen Tagen 40 Jahre Mitgliedschaft im Stadtrat.

Foto: Ja/Schwartz, Anna (as)

Humor und gute Laune. Wenn Ursula Schulz vom Stoff erzählen soll, der sie jeden Tag antreibt, dann ist es ein Gemisch aus guter Laune und Humor. Die Frau lacht gern, sie pflegt Bonmots, und wenn es die Umstände erfordern, wechselt sie mit einem Wimpernschlag ins ernste Fach. Wuppertals 1. Bürgermeisterin ist ein Vollprofi. Sie ist vermutlich die Politikerin im 66 Köpfe zählenden Stadtrat, die mit dem größten Schauspieltalent gesegnet worden ist. Das hilft ihr gegen das Lampenfieber vor jedem öffentlichen Auftritt, es ermöglicht ihr, kritische Situationen zu überspielen, es macht sie nahbar und beliebt. „Schauspielerei war einmal mein Berufswunsch“, erinnert die Sozialdemokratin sich. Dass sie Talent hat, wusste sie damals schon. Andere wussten es auch. Ein Schauspieler habe sich angeboten, ihr kostenlos Unterricht zu erteilen. Aber ihrem Mann zuliebe verzichtete Ursula Schulz. „Er hätte es nicht ertragen, wenn ich auf der Bühne von einem anderen Mann geküsst worden wäre.“ Also ließ sie es, ohne ihrem Mann jemals zu zürnen. Das Leben sollte schließlich eine ganz andere Bühne für sie bereit halten, und das entschädigte.

Freundschaft zu Johannes
Rau ebnete den Weg

Es war im Grunde die Freundschaft zu Johannes Rau, die den Weg in die Politik ebnete. Der Freundeskreis war politisch, und als einer einmal sagte, es sei leicht, von außen zu meckern, die Dinge müssten aber von innen verändert werden, da trat Ursula Schulz in die SPD ein. In diesen Tagen feierte sie 40 Jahre Mitgliedschaft im Stadtrat. Das heißt, gefeiert hat sie das eigentlich nicht. Sie wusste es nicht einmal. Als Oberbürgermeister Andreas Mucke (SPD) in einer Ratssitzung langen Anlauf nahm, um der Genossin die Ehre des ganzen Hauses zuteil werden zu lassen, „wusste ich lange nicht, dass ich gemeint gewesen bin“. Sie hatte es vergessen, nicht für so wichtig genommen, nicht bemerkt, weil die Zeit so schnell vergeht. Und mit jedem neuen Jahr nimmt das Leben mehr Tempo auf. So scheint es zumindest. Und die Bürgermeisterin hat auch eine Theorie, woran das liegen könnte. „Wahrscheinlich ist die Festplatte voll“, sagt sie und berührt mit dem Zeigefinger die Schläfe. „Kein Platz für Neues, also auch keine Eingewöhnungszeit, also geht alles schneller.“

Dieser Annahme werden Psychologen womöglich nicht uneingeschränkt zustimmen, aber für Schulz ist es eine halbwegs befriedigende Erklärung. Zu wissen, dass ein jeder selbst derjenige ist, der ständig an der Uhr dreht, mag auch etwas beruhigendes haben. Und Ruhe kann die dreifache Mutter und mehrfache Großmutter zuweilen brauchen. Denn Ursula Schulz ist ein Temperamentsbündel. Die Hände stehen nicht still, die Augen sind ständig auf der Suche, forschend, neu- und wissbegierig. Es scheint, als sei wirklich alles von Interesse, deshalb erhält jeder Gesprächspartner zumindest scheinbar die uneingeschränkte Aufmerksamkeit der Politikerin. Dieses Einfühlungsvermögen hat Ursula Schulz auch ihr vielleicht ungewöhnlichstes Abenteuer eingebracht. Zehn Jahre lang war sie einer der Dr. Sommer im Jugendmagazin „Bravo“, sie hat geholfen, eine ganze Generation von Deutschen aufzuklären. Auch an diese Zeit denkt sie gern zurück. Sie hatte Erfolg bei den Leserinnen und Lesern der „Bravo“ und lukrativ war das ganze außerdem. Mit dem Honorar konnte die gesamte Familie Schulz seinerzeit zweimal nach Nicaragua fahren, einem Land, dem Ursula Schulz tief verbunden ist und dessen Honorarkonsulin sie zehn Jahre lang war.

Die Sorge um den
Nachwuchs endet niemals

All diese Erinnerungen kommen wieder, wenn im Leben eine Zäsur bevorsteht. Die Bürgermeisterin ertappt sich immer häufiger dabei, in den Rückspiegel zu schauen und in Bildern zu schwelgen. Da ist die Schülerin, die so gern Balladen auswendig lernte, von der Lehrerin aber nie abgefragt wurde, da ist die junge Mutter, die sich um ihre Kinder sorgt.

Die wiederum entpuppen sich als musisch hochbegabt und sind heute in aller Herren Länder unterwegs, manchmal auch in Wuppertal. So wie die jüngste Tochter, eine versierte Geigerin und Pianistin, die jüngst ein Konzert in der alten Heimat gab. „Die Kinder sind immer die Kinder“, sagt Ursula Schulz mit einem Lächeln, um gleichzeitig einzuräumen, dass die Sorge um den Nachwuchs nie endet.

Das unterscheidet das Elterndasein vom Politikerleben. Die Bürgermeisterin hat beschlossen, im nächsten Jahr nicht wieder für den Rat zu kandidieren. 40 Jahre sind genug. Und auch die 20 Jahre als Bürgermeisterin haben der verhinderten Schauspielerin gegeben, was sie sich wünschte und was sie ganz offensichtlich gut kann: Auftritte. Ursula Schulz gibt unumwunden zu, dass sie es genießt, ein gern gesehener Gast zu sein. Sie freut sich nach all den Jahren immer noch, wenn Zuhörer sich für eine schöne Rede oder auch nur für ein paar einfühlsame Worte bedanken. In der Kulturlandschaft Wuppertals ist Schulz bestens vernetzt und hoch angesehen. Ihr unermüdliches Eintreten für die schönen Künste ist nicht verborgen geblieben. „Eine Stadt ohne Kultur ist keine Stadt“, sagt sie und begründet damit ihren nimmermüden Kampf, auch und nicht zuletzt um das Pina Bausch Zentrum im Schauspielhaus an der Kluse.

In nicht einmal zehn Monaten wird sie anderen diese Aufgabe überlassen. Ursula Schulz kehrt einer Fraktion im Stadtrat den Rücken, die sich in den vergangenen Jahren sehr verändert hat. Das Miteinander sei ein anderes geworden, ein wenig distanzierter. Die Kommunikation habe sich halt geändert. „Früher sind wir nach Sitzungen miteinander noch etwas trinken gegangen. Heute ist jeder mit dem Auto da“, sagt sie. Der Geselligkeit ist das nicht sehr zuträglich. Aber nett findet sie ihre Kollegen im Rat trotzdem.

Deshalb wird die gebürtige Oberhausenerin den Wuppertaler Stadtrat und ihre Termine als Bürgermeisterin auch vermissen, wenn ihre Ära in der Kommunalpolitik im nächsten Jahr zu Ende geht. Für sie selbst beginnt dann einfach eine neue Phase. Stillstand wird es nicht geben. „Ich will absolut nicht vergammeln“, sagt sie und kündigt ein Seniorenstudium an. Geschichte oder Philosophie soll es sein. Die jungen Kommilitonen dürfen sich schon einmal freuen. Diese Studentin ist kurzweilig, und sie hat etwas zu erzählen. Und das nicht nur, weil sie mit dann 80 Jahren eine der Ältesten sein dürfte.