Ein Kaffee mit Dagmar Schneider Ehrenamt im Hospiz: „Das Leben dauert bis zum letzten Atemzug“
Dagmar Schneider begleitet seit 24 Jahren Menschen in den Tod. Sie empfindet ihr Ehrenamt im Hospiz Dönberg als Geschenk.
Wuppertal. Auf den ersten Blick erinnert Dagmar Schneider an eine Großmutter, der die Enkel an den Lippen hängen, was immer sie ihnen auch erzählt oder vorliest. Auf den zweiten Blick ist Dagmar Schneider eine Seniorin, wie sie von der Werbebranche nicht besser erfunden werden könnte: kraftvoll, mitten im Leben, zufrieden, ausgeglichen, froh. „Man sagt mir eine gewisse innere Ruhe nach“, sagt Dagmar Schneider über sich. Und auch das trifft ohne jeden Zweifel auf die 72 Jahre alte Beyenburgerin zu. „Sonst könnte ich nicht tun, was ich tue.“ Dagmar Schneider begleitet Menschen auf dem Weg in den Tod. Sie macht das seit 24 Jahren. Warum? „Weil es mir ein Bedürfnis ist. Weil es mir viel gibt.“
Unter grauen, zu einer sportlichen Frisur geschnittenen Haar beherrschen wache Augen ein sympathisches Gesicht. Falten um den Mund verraten, dass Dagmar Schneider zum Lachen nicht in den Keller geht. Tod? Das ist für sie nichts Schlimmes. Natürlich endgültig und sicher auch beklemmend, aber schlimm ist er nicht. Im Gegenteil. „Wenn Menschen gestorben sind, entspannt sich ihr Gesicht, alle Schmerzen und Qualen sind weg“, sagt sie.
In der modernen Gesellschaft fristet der Tod ein Randdasein. Niemand spricht über ihn, keiner denkt über ihn nach. Dazu lassen Pflichten und der hektische Alltag keine Zeit. Der Tod, das Lebensende wird ausgeblendet. Leistung zählt, jeden Tag, jeden Monat, jedes Jahr.
Das war auch bei Dagmar Schneider immer so. Sie hat als Kauffrau gearbeitet, war gefordert, hat zwei Kinder geboren und heute freuen sich auch zwei Enkelchen, wenn die Oma ein paar Stunden für sie hat. Dennoch ist die Endlichkeit des Seins kein Randthema für sie, nichts, was verdrängt oder gar ignoriert werden darf. Sterben gehört zum Leben. Von der ersten Sekunde an.
Dagmar Schneider arbeitet seit zehn Jahren auch im Hospiz auf dem Dönberg. Sie ist eine erfahrene Sterbebegleiterin. Sie weiß mit Verlust und Ängsten umzugehen. Aber sie verhehlt auch nicht, dass ihr so mancher Tod ungerecht vorkommt. Da hilft auch der Glaube an Gott nicht. Wenn Kinder sterben, wenn Menschen mitten aus dem Leben gerissen werden, dann fragt sie ihren Gott bisweilen schon nach dem Warum. „Das geht mir immer noch sehr nahe.“
Vermutlich sind das dann auch die Momente, in denen Dagmar Schneider sich zu Hause ans Keyboard setzt. „Das habe ich mir vor ein paar Jahren gekauft“, sagt sie, „so richtig mit Rhythmus und so.“ In die Tasten zu hauen, helfe ihr. Notenbücher mit Evergreens haben mittlerweile zu einem Repertoire geführt, mit dem sich im Hospiz ganze Nachmittage gestalten lassen.
Dagmar Schneider über das Hospiz auf dem Dönberg
Wenn Dagmar Schneiders Ehemann dazu noch ein bisschen zaubert, dann ist was los im Hospiz, dann haben Trauerklöße Pause. „Selbstverständlich wird hier auch gelacht. Viel sogar. Das Leben dauert bis zum letzten Atemzug.“ An Karneval sei sie als Pinguin in Schwarz und Weiß mit Fliege im Hospiz erschienen. Das Hallo war entsprechend. Das Prinzenpaar stattete dem Haus einen Besuch ab. „Unsere Gäste können an den Veranstaltungen teilnehmen, wenn sie mögen.“ Die meisten mögen. Die „Gäste“ sind die Menschen, die zum Sterben ins Hospiz gekommen sind. Aber sie sind nicht gekommen, um einfach nur auf den Tod zu warten.
Sterben ist anders geworden in den vergangenen Jahrzehnten. Als Dagmar Schneider zum ersten Mal in ihrem Leben mit dem Tod konfrontiert wurde, geschah das im Krankenhaus. Sie war 15, der Blinddarm machte Ärger. Eines Tages stand im Waschraum ein Bett. Eine alte Frau lag darin, unfähig, sich deutlich auszudrücken. Das Mädchen trat an das Bett. Die Frau brauchte Wasser. „Man hatte ihr das Gebiss herausgenommen, sie lag da zum Sterben“, erinnert Dagmar Schneider sich. „Das macht man heute nicht mehr.“
Das Bild dieses vergehenden Menschen, die Dankbarkeit für die kleine Geste, die Hilflosigkeit der alten Dame haben sich eingeprägt. Damals starben Menschen in aller Regel noch daheim im Kreise der Familie, nicht einsam, abgeschoben auf irgendeinen Flur, in irgendeine Abstellkammer. So war es bei Dagmar Schneiders Schwiegermutter und bei ihrer Mutter. Heute ist das anders. „Viele junge Frauen müssen arbeiten, da fehlt die Zeit.“ Sterben in modernen Zeiten ist oft anders, traurig, schwer.
Aus dem Grund ist Schneider froh, dass die Hospizbewegung inzwischen weit verbreitet ist. Und sie hofft, dass mehr Menschen sich bereit finden, die Arbeit der Häuser und der ambulanten Hospize zu unterstützen. „Die Menschen zu begleiten, kann einem so viel geben. Das ist ein Geschenk.“
All die schönen Seiten des Ehrenamtes verstellen bei den Helfern aber nie den Blick für das Leid mancher ihrer Gäste. Schmerzen und Hoffnungslosigkeit legen auch in einem Hospiz die Diskussion um Sterbehilfe nahe. „Klar reden wir darüber, aber das kommt für uns nicht infrage.“ Heute sei die Medizin so weit, dass die Menschen weitestgehend sterben können, ohne zu leiden.
Für Dagmar Schneider geht die Hospizarbeit im nächsten Jahr zu Ende. 25 Jahre seien eine runde Sache, sagt sie. Und es gibt ja auch noch anderes zu tun. „Eine Reise nach Danzig, zum Beispiel. Dahin wollte ich immer schon einmal.“