Ein Kranker, der seine Persönlichkeit verliert
Warum das Gericht überlegt, einen 42 Jahre alten psychisch Kranken wegzusperren, weil dieser droht, zu einer Gefahr zu werden.
Wuppertal. Krank? Thomas K. (Name von der Redaktion geändert) schüttelt den Kopf. "Also, meine Nerven sind vielleicht ein bisschen krank." Thomas K. blickt verständnislos zur Richterbank. Ob er auch denke, dass er eine Psychose habe, will Richter Robert Bertling von ihm wissen. Wieder entschiedenes Kopfschütteln. "Nein, dass ich eine Psychose habe, davon weiß ich nichts."
Thomas K. ist schizophren. Seit 20 Jahren leidet der 42-Jährige an dieser psychischen Störung des Denkens und Wahrnehmens. Ausgelöst wurde die Krankheit während seiner Zeit bei der Bundeswehr. Damals musste Thomas K. mitansehen, wie sich ein Kollege vor seinen Augen das Leben nahm. Seither ist er nicht mehr der Gleiche.
28 Mal wurde er seitdem in die Stiftung Tannenhof in Remscheid zwangseingewiesen, ein Fachkrankenhaus für Psychiatrie und Psychotherapie. Dort bekommt er Medikamente, für jemandem mit seinem Krankheitsverlauf zwingend notwendig. Doch kaum wird er entlassen, beginnt der Teufelskreis. Er lebt bei seiner Mutter, einer entschiedenen Verfechterin der alternativen Medizin. Sie redet ihm ein, dass die Medikamente schlecht für ihn sind, sorgt dafür, dass er sie nicht nimmt. Es kommt zu schweren Schüben der Krankheit.
Dann wird Thomas K. verwickelt in Vorfälle, wegen denen er sich jetzt auch vor dem Landgericht verantworten muss. Körperverletzung wird ihm vorgeworfen. Doch vor allem will das Gericht prüfen, ob Thomas K. in Sicherungsverwahrung muss. In der Nachbarschaft soll er eine ältere Frau mit einem Stein bedroht haben. Ein anderes Mal habe er Widerstand gegen die Polizei geleistet. Wie sich später herausstellt, keine gravierende Tat.
Schnell wird klar: Die Sache mit dem Stein war weniger schlimm als angenommen. Der Hund einer Nachbarin hatte ihn angesprungen, vielleicht gebissen. Thomas K. bekam Angst. Dank einer weiteren Nachbarin, die beherzt handelte und den Hund zur Ruhe bringen konnte, eskalierte die Lage nicht. Thomas K. ließ den Stein fallen, mit dem er auf die Nachbarin gezielt hatte.
Für den Staatsanwalt war dies eine beispielhafte Situation, in die der Beschuldigte immer wieder geraten könne: "Er handelte in völliger Realitätsverkennung. Er ergriff jede Möglichkeit, sich zu wehren, konnte sich dabei nicht steuern." Man könne nicht immer darauf hoffen, dass eine resolute Frau in der Nähe sei, die die Situation entschärfe.
Thomas K. verfolgt den Prozess aufmerksam, zu verstehen scheint er nicht, was man ihm vorwirft, noch weniger, was für ihn auf dem Spiel steht. Immer wieder schaut er zu seiner Mutter, die sich lautstark einmischt. Keine leichte Familiengeschichte verbindet sie. Der Vater, ein Alkoholiker, habe sie früher geschlagen, die Tochter sei früh gestorben, die zweite hat den Kontakt ganz abgebrochen. Es gibt nur sie und ihren Sohn. Den versucht sie zu beschützen. Doch der Gutachter hatte deutliche Worte gefunden: Wenn Thomas K. keine Medikamente bekommt, wird die Krankheit einen immer schlimmeren Verlauf nehmen. Er hatte dem Beschuldigten ein Risikoprofil bescheinigt.
Für den Staatsanwalt ist klar, Thomas K. ist nicht nur "eine riesige Gefahr", das Leben zwischen Krankheitsausbrüchen und Klinik sei zudem "unwürdig" für ihn. "Maßlos übertrieben" nennt das sein Verteidiger. Zu nichtig seien die Anlasstaten, um über eine Zwangsunterbringung zu sprechen. Ohnehin sei in einem Betreuungsverfahren festgelegt, dass Thomas K. bis September 2009 in einer geschlossenen Abteilung untergebracht werden müsse.
Die Kammer fällt schließlich ein Urteil: Die Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus wird abgelehnt. Denkbar knapp sei das gewesen, sagt Richter Robert Bertling. Beide Vorfälle seien keine Symptomtaten gewesen. "Ein wenig Stress muss die Gesellschaft aushalten können", sagt Bertling. Thomas K. blickt zu seiner Mutter, die sichtlich erleichtert ist. Er wird nicht weg gesperrt. Wie sein Leben weitergeht, das wird jedoch maßgeblich von ihrer Einsicht abhängen.