Kopieren ist manchmal besser

In Schweden gibt es einen Brauch. Nein, nicht den mit den Tannenbäumen, die Anfang Januar aus den Wohnzimmerfenstern fliegen, damit Platz ist für Billy und dessen Verwandte aus dem schwedischen Puzzlemöbelhaus.

Die Tradition heißt Almedalen. Sie führt dazu, dass es für das deutsche Wort Wutbürger keine schwedische Vokabel gibt. Warum nicht? Weil es keine Wutbürger gibt, weil niemand sich von der Politik missachtet und vernachlässigt fühlt.

Beobachter führen das nicht zuletzt auf Almedalen zurück. Einmal im Jahr treffen sich Parteien, Politiker und Bürger im Almedalen, einem Park in der Stadt Visby. Das Treffen dient schlicht dem Meinungsaustausch. Politiker der im Parlament vertretenen Parteien sagen, wie sie gesellschaftliche Fragen bewerten und zu beantworten gedenken. Bürger sagen ihnen, wie sie es unter Umständen besser fänden. Das Miteinander von Macht und Menschen funktioniert. Es funktioniert, weil die Bürger sich gehört und damit beteiligt fühlen. Das klingt sehr einfach. Und das ist es auch.

Aber Bürgerbeteiligung geht auch kompliziert. In Wuppertal zum Beispiel. Hier gönnt sich die Stadt eigens dafür einen Dezernenten. Das hat bundesweit aufhorchen lassen, und gibt Wuppertal außerhalb Wuppertals immer noch einen modernen Anstrich. Doch bei näherer Betrachtung wird hinter der Farbe eine dermaßen komplizierte Konstruktion deutlich, dass vermutlich 99 Prozent der gut 355 000 Einwohner dieser Stadt hinter dem Projekt alles vermuten — außer Bürgerbeteiligung. Dieses Gewirr aus Planungszellen, Online-Beteilung und Leitlinien wird letztlich genau das Gegenteil von dem Bewirken, was es erreichen soll.

Das ist sehr schade, und ärgerlich ist es auch. Denn es kostet Geld. Allein die erste, schon ziemlich schwer verdauliche Stufe des Verfahrens schlägt mit fast 16 000 Euro zu Buche. Da mutet es wie blanker Hohn an, dass der zuständige Dezernent Panagiotis Paschalis (SPD) diese Summe damit adelt, dass so etwas in anderen Städten 40 000 bis 50 000 Euro koste. Bemerkenswert ist in diesem Zusammenhang, dass der Dezernent sich selbst als Schirmherr der Bürgerbeteiligung bezeichnet. Schirmherren arbeiten eigentlich ehrenamtlich, also kostenlos.

Paschalis nicht. Mit seinem Salär könnten sich mindestens zwei Städte pro Jahr ein moderiertes Bürgerbeteiligungsverfahren leisten, wenn sie denn wollten.

Dass die allermeisten Städte darauf verzichten, könnte ein Fingerzeig darauf sein, dass sie Bürgerbeteiligung für sinnlos halten, wenn sie sich nicht an die Einwohner im Allgemeinen richtet, sondern lediglich an die Experten unter den Einwohnern. In Wuppertal haben sich bisher kaum 300 Menschen für das hochwissenschaftliche Demokratieseminar aus dem Hause Paschalis begeistern können.

Wie es anders und besser geht, zeigen die Schweden. Almedalen ist das Gegenteil von Expertenrunden und Paragrafenreitern, von Fraktionssitzungen und fröhlichen Abenden unter politisch Gleichgesinnten. Almedalen ist bestimmt anstrengend, hilft vermutlich aber gegen Desinteresse, Wut und Wahlbeteiligung unter 30 Prozent.

Also: Gut kopiert ist besser als schlecht erfunden, und an Parks mangelt es Wuppertal zum Glück auch nicht.