Schauspiel Wuppertal Keine Chance für „ein bisschen Respekt“ vor den Menschen
Das Schauspiel Wuppertal zeigt „Benefiz - jeder rettet einen Afrikaner“ open air neben dem Theater am Engelsgarten.
„Vielleicht versuchen wir es mal mit ein bisschen Respekt“, schlägt Eckhard vor. Vergeblich. An dem mangelt es immer wieder in der gut eineinviertel Stunde langen Probe einer Benefizgala, die möglichst viele Spenden für ein Schulprojekt in Guinea-Bissau zusammenbringen soll. Versuchsanordnung, um grundsätzliche Fragen der Menschheit mit viel schwarzem Humor und unfreiwilliger Ehrlichkeit zu verhandeln. Ingrid Lausunds Stück „Benefiz – jeder rettet einen Afrikaner“ wurde vor einem guten Jahr im Theater am Engelsgarten aufgeführt – eine Geisterpremiere wegen der Corona-Pandemie. Nun verabschiedete sich das Schauspiel Wuppertal mit einer weiteren Aufführung open air in die Sommerpause.
Betroffenheit und Engagement – aufgesetzt oder echt
Fast wäre auch dieser Versuch, vor Publikum zu spielen, ins Wasser gefallen. Drei Termine waren angesichts der sinkenden Inzidenzzahlen kurzfristig anberaumt worden. Ein einziger konnte realisiert werden, mit Regenschirm und Kapuze. Mehr oder weniger „schutzlos“ erlebte die kleine Schar zugelassener Zuschauer auch das Stück, das die Autorin (die den Grimme-Preis für ihre Drehbücher zur Fernsehserie „Der Tatortreiniger “ erhielt) 2009 geschrieben hatte.
Denn nicht nur die fünf Protagonisten – jede/jeder verkörpert bekannte Charaktere, ohne klischeehaft zu wirken – geraten ins Trudeln. Auch das Publikum wird immer wieder direkt angesprochen, entlarvt, fühlt sich ertappt. Nie so ganz wissend, ob Betroffenheit und Engagement auf der Bühne nur aufgesetzt werden, um die Spenden in die Höhe zu treiben, oder echt sind. Egal, wenn’s der guten Sache dient ...
Wie kann man die Armut in Afrika unterhaltsam und zugleich effektiv präsentieren? Rainer (Matthias Eberle) versucht es mit Fakten, offenbart dabei, wie fremd und fern ihm (uns?) das Thema ist – sterben wirklich 80 Millionen Kinder, also so viele Menschen wie in Deutschland leben, an Unterernährung im Jahr oder ist das eine Null zu viel? Zugleich gibt er den zynischen Zweifler und Dandyrevoluzzer, der weiß, dass es für alles ein Gegenargument gibt. Und lässt schließlich die Frage, warum Menschen nicht wirklich gleich viel wert sind (warum 10 Euro nicht für einen Cocktail, sondern für die Rettung eines Menschenlebens in Afrika ausgeben) bewusst unbeantwortet.
Derlei Gedankengänge lässt Christine (Anou Reiners) erst gar nicht an sich herankommen. Für sie ist die Show eine Möglichkeit der Selbstinszenierung. Mit möglichst glamourösem Auftritt, auch mal als Marilyn Monroe (im Dienst der guten Sache), dem ihre Mitstreiter entsprechend huldigen sollen.
Gegenpole verkörpern Eckhard (Stefan Waltz) und Eva (Julia Meier), deren Werbemaßnahmen vor allem von Überzeugung und weniger von Show-Ehrgeiz getragen werden. Beim Blick auf Fotos zu rettender Kinder – lieber den auf Pappe schlafenden Paolo oder die armlose Lucille mit dem süßen Gesicht – verheddern sie sich dennoch heillos in Gefühlen und Selbstbetrug.
Weltverbesserin Eva kämpft mit ihren Gefühlen, Eine-Welt-Laden-Requisiten und dem Megaphon, in das sie für ihre Ideale Parolen ruft. Missionar Eckhard versucht es mit Bibel und Nächstenliebe. Und als die ihm als „untauglich“ reflektiert werden, holt er zu einem flammenden wie herausgeschrienen Plädoyer für die moralische Betroffenheit aus. „Mit zehn Euro können wir die Welt verändern, wir müssen uns nur endlich für diese Welt verantwortlich fühlen“, brüllt er und reißt das Hemd vom Leib. Klingt gut oder ist zu dick aufgetragen? Schließlich geht es ja um die Spendenbereitschaft.
Deren Förderung wird schließlich dem Aktivisten Leo (Kevin Wilke) überlassen, der es volksnah, pragmatisch und distanzlos angeht – auf B-Note und Überzeugung pfeift. Der Einsatz für eine Herzensangelegenheit soll doch auch Spaß machen oder etwa nicht? Also fordert er die Zuschauer (wie am Anfang des Stücks) einfach direkt und ohne Argumente zum Spenden auf. Die Höhe der Summe überlässt er ihnen, man müsse ja nicht hundertprozentig überzeugt sein. 51 Prozent reichen auch, das reduziere den Druck um 49 Prozent.
Im Schreien sind
die Protagonisten vereint
Die Wuppertaler Schauspieler liefern eine Glanzleistung ab. Ihre Benefizgala freilich ist zum Schreien – ob der Armut in Afrika und ob des Grauens vor sich/uns selbst und einer wenig überzeugenden Zusammenarbeit. Und das tun die Akteure auch immer wieder – wenigstens darin vereint. Ansonsten streiten sie zunehmend, einige drohen mit dem Verlassen des Projekts.
Jeder/jede zieht sich immer wieder in seine Holz-Kiste (Bühnenbild: Christian Blechschmidt) zurück, die vielfach gedeutet werden kann – für ihn oder sie selbst, sein/ihr Leben samt Ansichten, für Hilfsgüter-Transport oder für Show-Verpackung. „Fragile“ oder „Handle with care“ ist darauf gedruckt – zu spät. Der Respekt-Versuch ist krachend zerbrochen.