Ein Dramaturg spielt gerne den Vermittler
Porträt: Relativ spät, dafür umso heftiger zog es Sven Kleine ans Theater. Jetzt ist der Hesse Elberfelder.
Wuppertal. Wer als dritter Sprössling unter fünf Geschwistern aufwächst, ist nicht nur ein "Sandwich-Kind", wie Sven Kleine selbstironisch feststellt, sondern auch gut beraten, über den eigenen Tellerrand hinauszuschauen. Nicht allein, wenn es um Essensrationen geht. "Stimmt", sagt der heute 40-Jährige und lacht - weil er keiner ist, der sich selbst beweihräuchert, wird aus dem möglichen Eigenlob eine ausgeglichene Analyse. "Ich habe ein massives Gerechtigkeitsempfinden. Man könnte es auch negativ formulieren: Ich habe immer Angst, dass andere mehr auf dem Teller haben."
Kein Wunder: Als Drittgeborener wurde ihm die Diplomatenrolle zwischen zwei älteren Mitessern und einem jüngeren Zwillingspaar quasi in die Wiege gelegt. Vielleicht liegt es auch daran, dass der Dramaturg bis heute das macht, was er von klein auf lernte: Er vermittelt - beruflich zwischen (Gast-)Regisseuren, Bühnenbildnern und Kostümexperten auf der einen Seite und dem eigenen Haus, den Wuppertaler Bühnen, auf der anderen.
Was das konkret bedeutet? Kleine ist es gewohnt, dass Nicht-Insider - Vermieter, Partygäste oder neue Bekannte - sofort hellhörig werden, wenn das Wort "Dramaturg" fällt, und wissen wollen, was er denn eigentlich zu dem ganzen Theater beisteuert. Wieder lacht er: "Schauspieler werden gerne gefragt, was sie eigentlich tagsüber machen. Gleiches gilt für Dramaturgen."
Die Antwort ist ähnlich: In den "heißen" Wochen vor einer Premiere geht es um 10 bis 14 Uhr zur ersten Probe, abends folgt die zweite von 18 bis 22 Uhr. Dazwischen feilt er an Texten fürs Programmheft, macht Öffentlichkeitsarbeit und ist Ansprechpartner für das Produktionsteam.
Der gebürtige Marburger, der nun im Luisenviertel zu Hause ist, betreut aber nicht nur einzelne Inszenierungen. In seinem Büro im Opernhaus wartet auch allgemeine Schreibtischarbeit. "Da kämpfen zwei Seelen in meiner Brust", sagt er. "Ich bin zusammen mit den Kollegen für den künstlerischen Gesamtbetrieb zuständig." Mit anderen Worten: Konferenzen rund um den Spielplan wollen vorbereitet, Sonderveranstaltungen wie Lesungen geplant sein. "Dazu kommen die konkreten Produktionen, für die ich zuständig bin." Was er lieber macht? Da muss Kleine nicht groß überlegen. "Ich fühle mich eher als Produktions-Dramaturg."
Dabei wurde ihm die Liebe zum Theater nicht unbedingt mit in die Wiege gelegt. "Ich wurde relativ spät infiziert - mit Anfang 20." Lektor wollte er eigentlich werden, als er in den Wendejahren an der Freien Universität Berlin Allgemeine und Vergleichende Literaturwissenschaft studierte. An die Spree hatte es auch Marc Pommerening gezogen: Kleines früherer Klassenkamerad lockte ihn hinter die Kulissen. "Er hat mich während seines Regiestudiums gefragt, ob ich nicht bei einem Stück als Dramaturg mitmachen möchte." An den ersten (ehrenamtlichen) Einsatz erinnert er sich gerne - und dankbar. "Es hat mich dann schnell gepackt."
Zuletzt war der Neu-Elberfelder sieben Jahre lang in Erlangen engagiert. "Ich kenne Deutschland sozusagen aus allen Himmelsrichtungen", erklärt der Soldatensohn schmunzelnd. "In Hessen bin ich aufgewachsen, in Flensburg zur Schule gegangen, in Berlin habe ich studiert, zuletzt war ich im Süden, jetzt lerne ich Wuppertal kennen."
Mit einem hat Kleine bei Amtsantritt allerdings nicht gerechnet: dass er als Dramaturg auch Protestaktionen gegen die Schließung des Schauspielhauses zu organisieren haben würde. Jammern will er aber nicht. "Die Spardiskussion hat nochmal neue Energien in uns geweckt. Denn wenn man sich selbst abschreibt, wird man Ende auch abgeschrieben." Wer wüsste das besser als ein "Sandwich-Kind"?