Pina Bausch Es brodelt hinter der Fassade der Menschen
Tanztheater Pina Bausch: Auch Underground Teil acht begeisterte das Publikum.
Sie interessiere nicht, wie die Menschen sich bewegen, sondern was sie bewege, hat Pina Bausch gesagt. Ein Satz, der oft bemüht worden ist und immer wieder zutrifft. Auf die Stücke der großen Choreographin und auch auf die Stücke, die ihre Tänzer im Tanztheater Wuppertal heute entwickeln. Ihre Sprache fortsetzen und mit eigenen Emotionen und Gedanken, die sie aus dem Inneren des Menschen hervorholen, zu neuen Arbeiten formen. „Underground“ heißt entsprechend das Format der „work in progress“. Am Wochenende wurde sie im Foyer des alten Schauspielhauses mit fünf Werken fortgesetzt.
Es brodelt hinter der Fassade des Menschen, es schreit, wütet, weint und lacht. Drängt nach draußen, auch wenn gerade das vom Regisseurenteam unterbunden wird. Indem es die vier Gestalten (Bénédicte Billiet, Tsai-Wei Tien, Brienna O’Mara und Julie Shanahan) in ihren unförmigen Kostümen kommandiert. Sie gängelt und dann fragt, ob sie sich wohlfühlen. Was sichtlich nicht der Fall ist, bedrängend und amüsant zugleich wirkt. Als soziale Praxis sehen Cie.Ofen (Gala Moddy und Michael Carter) ihr Choreografieren. „New People 3.0“ sei dem utopischen Wunsch entsprungen, nachhaltig und ganzheitlich im Tanz zusammenzuarbeiten, das Experiment sei gescheitert. Den Zuschauern gefällt es.
An Dr. Jekyll und Mr. Hyde erinnert mitunter „Afternoon Forest Birds“, das Jonathan Fredrickson und Douglas Letheren entwickelt haben. Im Programmheft wird es „das etwas planlose Porträt von eine Mann, der sich verlaufen hat“ genannt. In dem Ein-Mann-Stück kämpft Letheren gegen innere Dämonen, verliert zunehmend die Kontrolle, seine Bewegungen eskalieren, enden in Selbstkasteiung, Schimpfen, Schluchzen.
Blanca Noguerol Ramirez ist Protagonistin von „Ich bin nicht nur ein Körper, aber wenn du willst, tanze ich“, bei dem Paul Aran Gimeno Regie führt und Silvia Munzon López die Dramaturgie verantwortet. Auch sie tanzt ihre Gefühle, die um Liebe, Kampf und Niederlage kreisen. Es sei die Kraft und der Schrei vieler Frauen, die in ihr seien, heißt es im Programmheft. Die Künstlerin verkleidet sich, singt, erzählt in mehreren Sprachen. Reißt mit. Die Hoffnung ist unendlich.
Die Apokalypse findet im Schauspielhaus statt
„Vergissmeinnicht“ heißt das Stück, von Stephanie Troyak & John Wannehag. Es handelt von der Komplexität der Liebe, dem zu viel und zu wenig Lieben, dem Versuch sich anzunähern und in Gleichklang zu kommen und dem Auseinanderfallen und Scheitern. Ein vielschichtiger, großartig anzuschauender Pas de deux. Zwischen Tragik und ausgelassenem Spiel.
Rainer Behrs Stück trägt (immer noch) keinen Titel. Und es ist immer noch genauso explosiv und mitreißend wie im Mai, als es eine gute Stunde lang die Treppen, Gänge und Atrien des Graubner-Baus nutzte. Ihn in eine grelle Science Fiction-Kulisse mit Licht- und Knalleffekten (Medieninstallation: Kai Fobbe; technisch-kreative Realisation: Martin Winterscheidt) und immer wieder hämmernder Techno-Musik (Andreas Eisenschneider) verwandelte, in der Baustelle symbolträchtig die Apokalypse einläutete. Emma Barrowman, Andrey Berezin, Jorge Puerte Armenta, Nayoung Kim, Julie Anne Stanzak, Breanna O’Mara, Tsai-Chin Yu vom Ensemble und die Gäste Mohamed Kourouma, Mark Scieczkarek sowie Hirohiko Soejima kämpfen gegen Vereinzelung, Verderben und Schuld an. Sie schenken sich nichts, sie schreien, schweigen, kriechen, umsorgen und quälen einander, sind Untote und letzte Überlebende einer vermüllten Welt. Die Zukunft gehört den Maschinen, die die Trümmer aufräumen müssen. Das Stück ist ein großartiges Spektakel, das die Zuschauer begeistert. Sie spenden langen Applaus.