Für Menschen mit Gefühls-Erfahrung

Der Rezitator Lutz Görner kommt am Freitag nach Wuppertal. Vorher spricht über seine Lust an Heine und den Vorteil von Klavierabenden.

Foto: Scarlito

Wuppertal. „Die lyrische Stimme Deutschlands“ hat ihn mal ein Rezensent genannt: Lutz Görner steht seit 40 Jahren als Rezitator auf nationalen und internationalen Bühnen. Mit Heinrich Heines „Deutschland — ein Wintermärchen“ hatte er mehr als 1000 Aufführungen. Er las „Goethe für alle“, stellte Bert Brecht, Nazim Hikmet und Friedrich Schiller, Else Lasker-Schüler, Christian Morgenstern und Wilhelm Busch vor. Von 1993 an präsentierte er auf 3Sat in 200 Folgen Gedichte vom Barock bis heute.

Am Freitag gastiert er mit einem Klavierabend zum Dichter Heinrich Heine und zum Komponisten Giacomo Meyerbeer in der Immanuelskirche.

Herr Görner, seit dem Anfang Ihrer Karriere rezitieren Sie immer wieder Heinrich Heine. Was fasziniert Sie an ihm?

Lutz Görner: Dass ich jetzt Heine vortrage, liegt nicht so sehr an Heine, sondern daran, dass der Heine sich mit Meyerbeer beschäftigt hat. Heine hatte von Musik unwahrscheinlich viel Ahnung und hat wunderbare Aufsätze dazu geschrieben. Dazu wird dann Meyerbeers Musik gespielt in der Fassung von Franz Liszt. Von diesen Transkriptionen der Meyerbeer’schen Opernmusik gab es bisher keine einzige Aufnahme. Obwohl er der meistgespielte und bedeutendste Opernkomponist des 19. Jahrhunderts war. Seine Opern wie „Robert der Teufel“ oder „Die Hugenotten“ werden heute kaum noch gespielt.

Zu Unrecht?

Görner: Ja, natürlich zu Unrecht. Diese Opern sind aufwändig. Damals gab es hunderte Statisten, riesige Balletts, große Chöre, einstürzende Häuser. Und auch die Musik ist unwahrscheinlich schön. Aber den Deutschen hat es nicht gefallen, dass Meyerbeer in Italien und Frankreich Erfolge hatte und dass er Jude war. Er ist ein Komponist, der dringend wiederentdeckt werden muss.

Statt reiner Rezitationsabende touren Sie seit drei Jahren mit Klavierabenden. Reicht das Wort allein heute nicht mehr?

Görner: Nein, das ist mein Alterswerk. Wenn man älter wird, werden die Kräfte ja nicht mehr. Ich bin jetzt 70 Jahre alt. Bei so einem Klavierabend bin ich nur die Hälfte der Zeit dran und muss nicht auswendig lernen. Dann kann mich auf einen Hocker setzen und zuhören, wenn die Pianistin spielt. Das ist sehr angenehm.

Kann das Klavier ohne Sänger einen vollständigen Eindruck der Opernmusik bieten?

Görner: Ja. Liszts Transkriptionen sind so gut geschrieben, dass man den Gesang gar nicht mehr vermisst. Allerdings konnten die Noten damals nicht verkauft werden, weil die Dilettanten die schweren Stücke nicht spielen konnten. Und man brauchte dazu auch bestimmte Klaviere — unser heutiger Flügel ist erst von Liszt entwickelt worden.

Was reizt Sie daran, den Deutschen ihre Dichter nahe zu bringen?

Görner: Ich finde das schön. Ich habe dabei immer etwas gelernt und kann das auf meine Weise weitergeben. Auf diese Weise habe ich den Deutschunterricht für den einen oder anderen Lehrer bereichert.

Können junge Menschen mit deutscher Lyrik überhaupt noch etwas anfangen?

Görner: Die könnten das schon — nur sind sie momentan mit anderen Dingen beschäftigt. Das kann man ihnen ja auch nicht vorwerfen. Es ist ja eine Umwälzung auf dieser Erde, die ganz viele Auswirkungen hat. Früher haben die jungen Menschen die Gedichte mit großen Augen und offenen Ohren gehört. Jetzt haben viele den Eindruck, dass sie lernen müssen, die digitalen Geräten zu beherrschen — das ist jetzt einfach so. Aber es gibt genügend Menschen, die Erfahrung mit Gefühlen haben und etwas älter sind.