Grauenhaft banal: Die Belanglosigkeit einer Katastrophe
Alexander Peiler gab bei Stephens „Steilwand“ seine „Visitenkarte“ ab.
Wuppertal. Hinter dem Banalen lauert Grauen. Hinter dem Gerede versteckt sich Sprachlosigkeit. Eigentlich ist es ein ganz normaler Abend im Wuppertaler Opernhaus. Hoch oben im Kleinen Foyer sitzen die Besucher an den Tischen, holen sich beim Barmann ihre Getränke. Bei Geplauder wartet man auf die Vorstellung.
Doch etwas stimmt mit dem bisher so souveränen Kellner nicht. Er knallt mit den Kühlschranktüren, schließlich kühlt er sogar seinen Kopf unter dem Wasserhahn, an dem er gerade noch Gläser gespült hat, und schnäuzt sich geräuschvoll in seine weinrote Schürze. Dann beginnt Barkeeper Alex zu erzählen. Rund 50 Minuten kreist er mit Gerede um die Katastrophe seines Lebens.
Es ist schon ein hoch inspirierter Regie-Einfall von Helene Vogel, Simon Stephens´ Stück „Steilwand“ in die kleine Opern-Bar zu verlegen. Dieser fließende Übergang von Realität und Alltag zum Bühnengeschehen, das gar keines mehr ist, passt bestens zu Stephens´ Werk. Seine Kunstfiguren sind echt, weil sie lebendige Spiegel des Seelenlebens sind. „Ich will mit aller Wahrhaftigkeit das Chaos beschreiben, in dem wir leben“, sagte 2008 der englische Dramatiker in einem Interview. Im selben Jahr entstand „Sea Wall“, die „Steilwand“.
Eine grandiose Leistung in diesem Ein-Personen-Stück zeigt Alexander Peiler vom Wuppertaler Schauspiel, der hier buchstäblich eine markante „Vi-sitenkarte“ abgibt. So nennt sich seit vergangener Saison die Reihe, in der sich die Schauspieler des Ensembles einzeln einbringen. Peiler versteht es, dem zerrissenen und zerhackten Monolog dieses innerlich fast zerstörten Menschen, Intensität und Wahrhaftigkeit zu geben. Alex erzählt von seinem besten Freund, Arthur, der als Soldat in Nordirland war, um dann Mathe-Lehrer zu werden. Alex erzählt, wie sehr er seine Frau Helen liebt. Alex erzählt von der Geburt seiner Tochter Lucy. Von den alljährlichen Urlauben in Südfrankreich. Von seinem Beruf. Von Gott.
Mit viel Feingefühl gestaltet Peiler die seltsamen Sprünge. Immer mehr schält er in dieser scheinbar sinnlosen Aneinanderreihung von Belanglosigkeiten heraus, dass Alex eigentlich vom schrecklichsten Erlebnis seines Lebens erzählen möchte. Anläufe blitzen durch, aber er kann es nicht. Selbst als er endlich vom Unfalltod seiner kleinen Tochter berichtet, kommt es herüber wie ein fast surreales Urlaubserlebnis.
Peilers Spiel, mit viel Applaus bedacht, lotet sensibel die Untiefen dieses Menschen aus, der sich ein Unglück von der Seele reden möchte, aber nicht dazu fähig ist. Und Peiler zeigt, warum Simon Stephens zu Recht der derzeit meistgespielte fremdsprachige Dramatiker in Deutschland ist.