Kultur Die Widersprüchlichkeit von Heimatidyllen
Lesung und Musik von Silvia Munzón López und Annette Rettich im Katholischen Stadthaus.
Auf dem Holztisch ein Wasserkrug und ein Laib Brot. Wie einer Szene aus einem idyllischen Heimatfilm entsprungen präsentierten sich die beiden Protagonistinnen. Silvia Munzón López im feschen Dirndl, Annette Rettich im karierten Kleid mit grauem Jankerl. Schon im Frühjahr war die jetzt nachgeholte Lesung im Rahmen der Veranstaltungsreihe „Über die Welt und Gott“ im Katholischen Stadthaus geplant. Für die Auseinandersetzung mit dem ambivalenten Begriff Heimat wurde die Ausstellung „Daheim ist es am schönsten“von Peer Boehm gezeigt.
Was ist Heimat, gibt es den Begriff nur im Singular, auch im Zuge der Globalisierung? „Stadt-Land-Dorf-Heimatidyllen“: Nicht umsonst trug die Lesung diesen Titel, ging es doch in den drei vorgestellten Romanen um diese Eckpunkte und Widersprüchlichkeiten. „Wir leben hier, seit wir geboren sind“ von Andreas Moster spielt irgendwo, irgendwann in einem namenlosen Bergdorf. Hier projizieren fünf Teenagermädchen ihre Sehnsucht der Abgeschiedenheit zu entfliehen auf Georg Musiel, der die Unrentabilität des Steinbruches, der Lebensader des Dorfes, bestätigen soll. „Ihre Langeweile liegt in der Luft wie ein Gewitter“.
Die Ich-Erzählerin lässt die Zuhörer an der unterschwelligen Brutalität ihres Vaters teilnehmen, subtil beschrieben und doch so eindringlich. Silvia Munzón López trug passende Auszüge der Handlungsstränge vor, es sind oft nur Andeutungen, welche die bedrohliche Stimmung in Szene setzen. Für ein Bauprojekt kehrt der Architekt Michael Schürtz, der in der Großstadt Karriere gemacht hat, in sein Heimatdorf zurück. Autor Jan Böttcher lässt die Titelfigur in seinem Roman „Das Kaff“ verborgene Erinnerungen und Gefühle erleben. Der Heimkehrer wider Willen, der nichts auf Freunde und Familie gegeben hat, findet Vertrautes wieder und sucht den Kontakt zur Schwester. Treffen mit Dorfbewohnern legen viel mehr frei, als er im Vorfeld geglaubt hätte.
Im Roman „Das Dorf“ von Katrin Seddig gibt Munzon Lopez zwei weiblichen Akteuren eine Stimme. Der zwölfjährigen Jenny ist klar: So wie ihre Mutter will sie nicht leben. Und die alte Ingetraut vergisst Aktuelles, aber die Erinnerungen an die alten Zeiten im Dorf sind glasklar. „Ein Dorf ist ein Zimmer mit gläsernen Wänden, man sieht alles.“ Ihr Dorf ist, wie symbolisch, zerschnitten von der Durchgangsstraße. Sie kennt die neuen Bewohner, die nicht hier, sondern in der Stadt arbeiten, nicht mehr. Jenny hängt sich an den 17-jährigen Maik, sein Moped wird zum Sinnbild der Flucht aus dem zerrissenen Dorf.
Unterschiedliche Perspektiven von Rückkehrern oder noch dort Lebenden, dennoch ist die Ambivalenz zwischen zwei Orten das verbindende Thema: das Dorf in dem man aufgewachsen ist, die Stadt in der man lebt, bzw. leben will. In der Abwesenheit wird das Heimatdorf zur Projektionsfläche für die Sehnsucht nach dem unwiederbringlich Verlorenen. Für die Bergische Seele diente das „Bergische Heimatlied“ ebenfalls als verbindendes Element zwischen den Lesungen. Sowohl sprachlich als auch musikalisch von Annette Rettich am Cello, die die fast zweistündige Lesung musikalisch begleitete.