„Macbeth“: Wahnsinn hinter Gittern
Spannung pur: Häftlinge lernen Shakespeare kennen — ein etwas anderer Theaterbesuch.
Wuppertal. Es ist kurz vor 16 Uhr. Der WSW-Bus ist noch gar nicht losgefahren — doch schon gibt es die ersten Bedenken. „Entschuldigung“, sagt eine Zuschauerin und meint einen Mitarbeiter der Justizvollzugsanstalt (JVA) Ronsdorf, der den Shuttle-Bus begleitet, der rund 120 Zuschauer vom Schauspielhaus an der Kluse ohne Umweg ins Gefängnis befördern soll. „Gibt es da eigentlich Toiletten?“ Der starke Mann ist leicht irritiert. „Sie können ja mitkommen . . .“, ergänzt die Dame, die befürchtet, in der JVA kein stilles Örtchen zu finden. Die Antwort klingt mehr als beruhigend: „Das kriegen wir schon hin!“ Wie auch alle anderen Fragen an diesem Samstag geklärt werden — postwendend, diskret und höflich.
Denn alles ist genau geplant. „Macbeth — Schlaflos in Ronsdorf“ führt die Premierengäste an einen Ort, den sie nicht so schnell vergessen werden. Aufgeregt sind sie deshalb alle — die, die hinter den Kulissen auf ein gutes Gelingen hoffen, die, die am Ende im Rampenlicht stehen werden, und die, die das ganze Theater neugierig beobachten.
Höflicher Ruf eines Häftlings, der — wie viele andere auch — von seinem Zellenfester aus beobachtete, wie die Gäste nach der Premiere über den Innenhof nach Hause gingen.
Der organisatorische Aufwand ist groß, die Spannung ebenso: Darf ein Insulin-Besteck mit in den Zuschauerraum? Es darf. Müssen Handys abgegeben werden? Sie müssen — und das bereits, bevor der Bus abfährt. Was direkt zum nächsten Problem führt: „Mein Mann denkt dass ich nach eineinhalb Stunden wieder zu Hause bin“, erzählt eine aufgeregte Zuschauerin, als der Bus Ronsdorf erreicht hat. „Wenn ich jetzt so lange im Gefängnis bleibe, macht er sich Sorgen.“ Doch ein Mitarbeiter der JVA verhindert Schlimmeres. Er zückt sein eigenes Mobiltelefon und bringt Mann und Frau telefonisch zueinander. Die Zuschauerin ist erleichtert. Dabei hat das eigentliche Theater noch nicht einmal angefangen.
„Ich dachte, ich säße unter lauter Sozialpädagogen“, gibt eine andere Zuschauerin zu, als nach der Sicherheitskontrolle endlich alle Gäste im „Theatersaal“, dem Kulturzentrum der JVA, sitzen. Es sind beileibe nicht nur Pädagogen, es ist eine ungewöhnliche Theatermischung: Kulturinteressierte und Shakespeare-Kenner sitzen neben Verwandten und Freunden der Häftlinge. Egal, ob fachliche Neugier oder auch eine Spur Voyeurismus dahintersteckt: Berührungsängste hat hier niemand (mehr).
Auch wenn der Text selten gut zu verstehen ist und die acht Laien immer wieder grinsen müssen, wenn sie vertraute Gesichter im Saal erkennen: Ihr „Macbeth“ wirkt authentisch, kraftvoll und unmittelbar. Dabei spielt Shakespeare an diesem Tag nicht die zentralste Rolle. Viel wichtiger als der Mord und Totschlag, den er beschreibt, ist das, was das Projekt auslöst: Die Gäste fühlen sich in der JVA willkommen, die Laienschauspieler ernst genommen.
Der Beweis spielt sich bei Kaffee und Kuchen ab: Nur 60 Minuten dauert die Aufführung, deutlich länger sind die anschließenden Gespräche in der Turnhalle, die zum Café wird — bis kurz vor 20 Uhr. Als die Häftlinge in die Zelle müssen, ernten sie einen Abschiedsapplaus, als seien sie Hollywood-Stars. Das mag übertrieben sein, zeigt aber, dass Vorurteile abgelegt wurden und sich die Begegnung gelohnt hat — auf beiden Seiten der Mauer.