Tanztheater: Ein süßer Mambo und bittere Erkenntnisse
Eines der letzten Stücke von Pina Bausch begeisterte die Gäste im Opernhaus.
Wuppertal. "Nicht vergessen, ja?" Höflich, keck, gar flehentlich baten die Tänzer um die ungeteilte Aufmerksamkeit des Publikums, als sie 2008 im Wuppertaler Schauspielhaus Uraufführung feierten. Jeder hatte eine andere Geschichte zu erzählen, am Ende aber kamen alle zu ein- und demselben Schluss: "Nicht vergessen."
Zweieinhalb Jahre später ist "Sweet Mambo" wieder in Wuppertal zu sehen - diesmal im Opernhaus. Die Anordnung der kleinen, feinen Szenen ist dieselbe geblieben, doch etwas Entscheidendes ist anders: Pina Bausch hält nicht mehr im Hintergrund die Fäden in der Hand, und wer nun erneut die persönlich gefärbten Anekdoten der Tänzer hört, die "Sweet Mambo" zu einer Art Kammerstück machen, mag auch unweigerlich an die Tanz-Ikone (1940-2009) denken, die in der Tat unvergessen ist.
Den Anfang macht Regina Advento. "Reschina" heißt sie, wie sie lasziv-schelmisch betont. Das "g" in der Mitte ihres Namens sei schließlich ein Zischlaut. "Nicht vergessen", sagt die rassige Brasilianerin mit Nachdruck. Auch andere folgen ihrem Beispiel, plaudern scheinbar nebenbei Intimes aus, verbinden das Besondere mit ihrem Namen und ermahnen die Gäste im ausverkauften Opernhaus, sie so in Erinnerung zu behalten, wie Menschen nunmal sind: individuell und doch auch auf der Suche nach einem gemeinsamen Nenner.
Dabei geht es nicht nur um den verzweifelten Kampf gegen das Vergessen und das von vorneherein aussichtslose Festhalten am Ruhm, den man so wenig greifen kann wie der (künstliche) Wind, der die weißen Vorhänge dezent streift, ordentlich aufwühlt oder aufbläst wie einen riesigen weißen Ballon. Es geht, wie immer beim Wuppertaler Tanztheater, um Grundsätzliches: Beziehungen bauen sich langsam auf, zerbröseln aber auch wieder und werfen Schatten auf die Seelen der Beteiligten - so, wie durch Lichtpiele und Film-Projektionen dunkle Flecken auf den hellen Vorhängen entstehen.
"Sweet Mambo" hat keine großen Ensembleszenen, sondern lebt von der intimen Spannung zwischen kurzem Smalltalk und großen, einsamen Soli. Mit blonder Perücke und Kreischstimme gibt Nazareth Panadero die Parodistin und dem Publikum ihre Weisheiten mit auf den Weg: "Die Alten können nicht, was sie wissen, die Jungen wissen nicht, was sie können." Julie Anne Stanzak ist eine glamouröse Lady, Aida Vainieri eine kraftvolle Realistin. Die stärkste Wirkung entfaltet "Sweet Mambo", wenn den zehn Tänzern jeweils allein die Bühne gehört - und sie in melancholischen Soli graziös Wehmut versprühen. Denn die Idylle trügt, wie nicht zuletzt das Bühnenbild von Peter Pabst unterstreicht: Mal werden die Vorhänge zum weichen Bett, mal aber auch zur Leinwand, auf die Blitz und Donner projiziert werden.
Doch die Verbindung zwischen dem ersten und zweiten Teil ist zu klein, als dass durchgängig ein großes Ganzes daraus werden könnte. Am Ende geht dem Stück etwas die Luft aus - es endet wie ein sanfter Windhauch.
Unvergessen könnten allerdings die Szenen werden, in denen Julie Anne Stanzak an den Haaren über die Bühne gezogen und Julie Shanahan mit Gewalt zurückgehalten wird. Auch zweieinhalb Jahre nach der Uraufführung wirken sie beklemmend-eindringlich - unter den veränderten Vorzeichen fast noch eindringlicher als im Mai 2008, als Pina Bausch noch lebte und zum Schlussapplaus mit auf die Bühne kam.