Tanzträume für die Berlinale
Anne Linsels Film ist so gut wie fertig. Er dokumentiert die letzten Worte, die Pina Bausch vor laufender Kamera gesprochen hat.
Wuppertal. Die Nachricht vom Tod der Tanz-Ikone traf sie im Schneideraum. Eine Wochelang hatte Anne Linsel die Arbeiten an ihrem neuen Film unterbrochen. Nun hat dieWuppertalerin den Feinschnitt beendet - und ist froh, dass Pina Bauschden Film selbst noch sehen konnte.
Mitte Juni hat die Leiterin des Tanztheaters die Ergebnisse monatelangerDrehs begutachtet - nicht ahnend, dass es das letzte Filmprojekt sein würde, dasdie Grande Dame der Tanzszene bei Proben begleiten sollte. Zehn Tage später warPina Bausch tot.
Der Film über den "Kontakthof mit Teenagern ab 14", der von vorneherein als einmalige Dokumentation angelegt war, eben weil er ein außergewöhnliches Projekt begleitet, erhält nun eine unerwartete Brisanz und eine ganz neue Bedeutung. Die letzten Worte der Tanz-Prinzipalin vor laufender Kamera sind Teil eines 90-minütigen Films, der auf verschiedenen Festivals vorgestellt werden soll, bevor er in die Kinos kommt. Eines ist jetzt schon klar: Er verspricht "Tanzträume". Der (vorläufige) Titel ist eine Anspielung auf die Träume von Jugendlichen, die manchmal in Erfüllung gehen.
"Es sind einzigartige Dokumente", sagt Linsel, die Pina Bausch seit 1973 kannte und natürlich auch in ihrem neuen Film zu Wort kommen lässt. Die Mutter Courage der modernen Tanzszene bereitet Jugendliche auf ihren großen Einsatz vor: auf ihre Premiere beim Internationalen Tanzfestival, die im Herbst 2008 Begeisterung auslöste. Der Film zeigt Pina Bausch bei ersten Proben in der Lichtburg, bei der Generalprobe im Schauspielhaus, bei der gefeierten Premiere.
Trotzdem stehen eigentlich ganz andere im Mittelpunkt: Es geht um die rund 40 Jugendlichen, die einen Klassiker des Wuppertaler Tanztheaters ("Kontakthof" wurde 1978 uraufgeführt und 1999 in einer Version mit "Damen und Herren ab 65" inszeniert) zu neuem Leben erwecken. Um ihren Weg ins Rampenlicht und ihre ersten bewegenden Erlebnisse auf der Bühne.Seit dem Frühjahr 2008 folgt Linsel den Spuren der jungen Nachwuchstänzer, die unter der Leitung von Jo Ann Endicott und Bénédicte Billet probten. "Als ich 2007 hörte, dass Pina den ,Kontakthof’ mit Jugendlichen inszeniert, habe ich sofort gedacht: Darüber muss man eine Dokumentation machen." Schon einmal war ein Film Ausdruck tiefer Verbundenheit: Linsels Porträt ("Pina Bausch") entstand 2006, wurde auf Festivals gefeiert und ist seitdem preisgekrönt. Nun folgt ein Film, der dokumentiert, wie Pina Bausch Jugendliche förderte und forderte.
Es sind genau diese Szenen, die Linsel nachhaltig beeindruckt haben. "Pina hat nicht gesagt: Das sind Jugendliche, lasst sie mal machen. Sie hat sie ernst genommen und professionell Kritik geübt - so, wie es ihre Art war. Sie war sehr genau und sehr ernsthaft in ihrer Arbeit", erzählt Linsel. Einige Jugendliche seien davon zunächst irritiert, andere sofort entzückt gewesen.
Wann die Öffentlichkeit hinter die Kulissen des Tanztheaters blicken kann, steht noch nicht fest. Nur so viel: Die WDR/Arte-Produktion soll zunächst Festival-Zuschauern präsentiert werden - vermutlich beim 52. Internationalen Festival für Dokumentar- und Animationsfilm in Leipzig (Herbst 2009). Angedacht ist auch die Berlinale im Februar 2010. Danach soll der Film die Programmkinos erobern - und schließlich im Fernsehen zu bewundern sein. Linsel hat ihre Arbeit soeben beendet, nun erhält der Film ton- und bildtechnisch den letzten Schliff. "Ich denke, Ende September ist er dann endgültig fertig."
Für die Filmemacherin bedeuteten die letzten Tage im Schneideraum nicht nur viel Detailarbeit, sie waren vor allem auch eine emotionale Herausforderung: "Es war nicht leicht, Pina auf dem Bildschirm zu sehen - wie sie an Proben teilnimmt, mit den Jugendlichen redet, lacht, sie liebevoll korrigiert." Auch wenn ihr Film hauptsächlich den Jugendlichen gilt, ist er deshalb doch vor allem eines: ein letzter Gruß an die große Choreographin.