Wiederaufnahme „Vergrößertes“ Pina-Bausch-Ensemble begeistert

Das Tanztheater hat „Die sieben Todsünden (Fürchtet euch nicht)“ mit prominenten Gästen in der Oper wieder aufgeführt.

Das Ensemble (Mitte vorne: Stephanie Troyak) lädt fröhlich-bunt in den zweiten Teil der Aufführung ein. 

Foto: christianClarke.de / Tanztheater/Christian Clarke

Sie haben sich prominente Gäste dazu geholt. Zu einem Stück aus dem Jahr 1976, als Pina Bausch begann, Choreographien mit einer ganz neuen Ästhetik zu erschaffen, die für sie typisch werden sollte. „Die sieben Todsünden (Fürchtet euch nicht)“ geht unter die Haut, bewegt, ist schrill und zynisch, transportiert Vergangenheit und ist erschreckend aktuell. Prominenz wertet es auf. Zumal wenn sie sich wunderbar in die Compagnie einfügt. Gemeinsam leben sie das Tanztheater-Stück – tanzen, spielen und singen. Am Wochenende war es (nach zwei Jahren) in der Wuppertaler Oper wieder soweit.

Mit der 24 Jahre jungen Stephanie Troyak reift gerade ein Talent im Tanztheater. Sie verkörpert wie 2018 die Anna II im ersten Teil, überzeugend und intensiv. Sie kann aber auch komisch sein, entertainen, wenn sie in den zweiten Teil einlädt, in der Rolle, die noch 2018 Jo Ann Endicott „gehörte“. Dieser zweite Teil „Fürchtet euch nicht“ wird gerne im Schatten des eindringlichen ersten behandelt. Weil er unterhält, weil der Missbrauch der Frau durch den Mann, ihre Reduzierung auf den austauschbaren Körper, den es zu benutzen gilt, im Hintergrund geschieht. Fast nebenher läuft und doch für den unerträglich wird, der sie im Blick behält. Gast Steffen Laube schlüpft überzeugend schmierig in die Rolle des Verführers, gegen den die schon körperlich deutlich kleinere Tsai-Wei Tien keine Chance hat.

Das Hauptaugenmerk aber liegt auf dem bunten Potpourri aus Brecht-Weill-Liedern (Dreigroschenoper, kleiner Dreigroschenmusik, Happy End, Berliner Requiem und Aufstieg und Fall der Stadt Mahagonny), die eine heillos-kaputte Welt in zynische Texte und exzellente Musik verpackt haben. Das Sinfonieorchester unter Jan Michael Horstmann begleitet, im Hintergrund der Bühne aufgebaut, hervorragend die schrille Show. Johanna Wokalek, Melissa Madden Gray und Erika Skrotzki steuern als Gäste großartige Gesangsdarbietungen bei, jede performt mit eigener Art und differenzierter Stimmkraft. Die sämtlich als Frauen auftretenden Tänzerinnen und Tänzer zeigen wunderbare Gruppentänze. Vier Diven (Julie Anne Stanzak, Stephanie Troyak, Blanca Noguerol Ramirez, Azusa Seyama) schmettern sich, lasziv auf Fellen liegend, ihre Eifersucht entgegen wie Raubkatzen. Das Auge saugt Szene für Szene auf, die sich (wie bei Pina üblich) einfach aneinanderreihen, erholt sich von der harten Kost des ersten Teils. Freut sich an den Tänzen und den selbstbestimmter erscheinenden Frauen, auch wenn Annas Geschichte nachhallt.

Aus naiv-fröhlichem Mädchen wird innerlich zerstörte Frau

Ihre Geschichte, die im ersten Teil erzählt wird, basiert auf dem Brecht-Weillschen Stück aus dem Jahr 1933. Und ist in #MeToo-Zeiten hochaktuell. Die junge Frau soll der Familie in Louisana zum eigenen Haus verhelfen. Dafür sind alle Mittel recht. Ihre Karriere verläuft in sieben Kapiteln gemäß der Todsünden, die an sieben Stationen gebunden werden, die im Tanztheater durch Kleiderwechsel angezeigt werden. Der Erfolg Annas basiert allerdings darauf, dass sie sich selbst verleugnet und an Männer verkauft. Dargestellt wird sie durch eine tanzende und eine erzählende Persönlichkeitshälfte, die wie zwei unvereinbare Lebensentwürfe einander gegenüberstehen. Als Stephanie Troyaks Alter Ego hat das Tanztheater die Brecht-Weill erprobte Meret Becker engagiert, die mit sanft-herben bis scharf-energischem Timbre ihre Geschichte singt. Eine strenge Gouvernante mit traurig-dunklen Augen, die zwar mitfühlt, vor allem aber darauf achtet, dass sie den freudvollen (Tod-)Sünden widersteht, fremdbestimmt auf dem Weg zum Eigenheim bleibt. Auch wenn aus dem naiv-fröhlichen Mädchen eine innerlich zerstörte und leere menschliche Hülle wird. Troyak und Becker treten in einen grandiosen selbstzerstörerischen Dialog, der am Ende nur Verliererinnen kennt. Pina Bauschs Stück ist rasant, rhythmisch und bedrohlich. Tanzschritte sind Stechschritte, Gesichter kalt, grau, roh, männliche Berührung übergriffig und unmenschlich.

„Die sieben Todsünden (Fürchtet euch nicht“) berührt, wirkt nach. Ist nicht nur großartiges Tanztheater von gestern. Das Publikum im ausverkauften Opernhaus geht mit, jubelt und ist betroffen. Freut sich über hervorragende Leistungen eines wunderbar vergrößerten Ensembles.