Von einem, der auszog, den Ton anzugeben

Adrenalinschub am Dirigentenpult: Die Auslands-Einsätze von Hilary Griffiths sind so spannend wie abenteuerlich.

Wuppertal. "Wir waren sicher, dass während der Vorstellung eine Bombe hochgehen würde." Als Hilary Griffiths vor 24 Jahren zum ersten Mal in Kolumbien dirigierte, stand ihm nicht nur aus Lampenfieber der Schweiß auf der Stirn. "Das war sehr aufregend damals. Es gab viele Unruhen, Entführungen und Gewalt."

Dass man als Dirigent gute Nerven benötigt, ist Hilary Griffiths gewohnt. Aber einen solchen Einsatz wie 1986 bei "Fidelio" in Südamerika, hatte selbst er noch nie erlebt. Zwar detonierte nicht die befürchtete Bombe, aber aufregend war es allemal. "Das Fernsehen hat die Inszenierung auch noch live übertragen." Kein Wunder: "Fidelio" war nicht nur die erste deutsche Oper, die das Publikum in Bogotá überhaupt zu hören bekam - "wir haben sie auch noch modern inszeniert".

Seitdem sind 24 Jahre vergangen, doch die Aufregung ist geblieben. Jedes Mal, wenn der Chef-Dirigent der Wuppertaler Bühnen auszieht, um in Kolumbien den Ton anzugeben, staunt er nicht schlecht. "Das Leben dort ist ganz anders als in Wuppertal", sagt der 61-Jährige, der gerade erst von einem vierwöchigen Gastspiel zurückgekehrt ist. Unterschiedlich ist vor allem die Reaktion der Zuhörer: "Das kolumbianische Publikum applaudiert nicht so lange, aber sehr temperamentvoll."

Vermisst er denn die Ekstase, wenn er im Barmer Opernhaus am Dirigentenpult steht? Der gebürtige Brite schmunzelt verschmitzt. Der Gentleman formuliert es so: "Hier sind die Zuschauer dafür fachkundiger. Und man weiß, dass es am Ende den gebührenden Applaus für alle gibt." Die Kolumbianer hingegen hätten Nachholbedarf: "Sie sind zwar allgemein sehr theaterbegeistert, aber noch etwas zurück, was die Oper betrifft."

Griffiths muss es wissen. Der Dirigent, der erst in Oxford Mathematik studiert hat, bevor er Profi-Musiker wurde und an der Royal Academy of Music in London den virtuosen Feinschliff erhielt, gab jüngst zum vierten Mal in Kolumbien den Takt vor. Diesmal wagten die Veranstalter in Bogotá ein Experiment: Während Einkäufer in deutschen Lebensmittelläden Punkte sammeln können, um ein volles Bonusheft gegen Töpfe oder Messer einzutauschen, lockten zwei kolumbianische Supermarkt-Ketten mit einer ganz besonderen Aktion.

"Sie verteilten Opernkarten", erzählt Griffiths. Treue Kunden wurden also mit einer komischen Oper ("Der Barbier von Sevilla") belohnt - und waren begeistert. "Der Saal war voll", berichtet Griffiths. "Die Zuhörer haben gerast und geschrien vor Freude."

Und was bringt es dem Chef-Dirigenten, wenn er andernorts den Taktstock schwingt? Profitiert auch Wuppertal von den Gastspielen im Ausland? "Es ist gut zu sehen, unter welchen Bedingungen in anderen Ländern inszeniert wird. Außerdem treffe ich international renommierte Sänger, die ich dann auch nach Wuppertal einladen kann", erklärt der Brite, der in Südamerika nach dem Prinzip "Learning by doing" Spanisch gepaukt hat. Gelernt hat er auch, dass 2.600 Meter über dem Meeresspiegel andere Gesetze gelten: "Hinter den Kulissen gibt es Sauerstoff-Flaschen für die Sänger." Die können schließlich - des Klimas wegen - "nicht so schnell über die Bühne rennen" wie ihre Kollegen in Wuppertal.

Wenn Griffiths von seinen Auslands-Einsätzen erzählt, könnte man stundenlang zuhören. Zumal der weit gereiste Dirigent auch in Prag fast zu Hause ist: Dort hat er in den vergangenen 20 Jahren mehr als 200 Aufführungen geleitet. Das aufregendste Erlebnis ist und bleibt jedoch das erste Gastspiel in Kolumbien.

Damals ist Griffiths morgens nicht etwa vom Hähnekrähen aufgewacht, "sondern von Schüssen. Entführungen standen ja an der Tagesordnung." Unvergessen ist auch die Begegnung mit einem Konzertmeister, der stets eine geladene Pistole bei sich hatte. "Die Musiker hatten deshalb richtig Angst, falsch zu spielen", erzählt Griffiths und lacht. Ernst wird er allerdings, wenn er die Geschichte zu Ende erzählt: "Später ist der Konzertmeister tatsächlich erschossen worden - vermutlich von der Drogenmafia."