Tic Tic zeigt einen Klassiker der ernsten Sorte

„Wer hat Angst vor Virginia Woolf?“ feierte Premiere.

„Wer hat Angst vor Virginia Woolf?“

Foto: Fischer, Andreas (f22)

Eheliche Bosheiten sind auf Bühnen nicht selten zu sehen – im Tonfall meist harmlos-launig. „Wer hat Angst vor Virginia Woolf“ im Theater in Cronenberg fällt da in mehrfacher Hinsicht heraus: Anders als beim Tic gewohnt, ist Edward Albees Werk ein Klassiker der ernsten Sorte. Und anders als besagte Ehespäße ist im Regiedebüt von Stefanie Smailes die Gesamtstimmung: Erstaunt erlebt das Publikum die pure Brutalität.

Das Stück führt eskalierende Aggression zwischen den Eheleuten George und Martha vor – im Tic grandios gespielt von André Klem und Beate Rüter. Anlass ist der Besuch von Nick und Putzi – Christian Minwegen und Yasemin Peken geben souverän die klassischen Nebenfiguren, die die Handlung vorantreiben und bewusst schwach gezeichnet sind.

„Virginia“ (der Titel spielt auf ein Kinderlied an) ist auch ein Klassiker des absurden Theaters – ein Merkmal, für das die Inszenierung ihre eigene Umsetzung findet. Nicht zuletzt in den Kostümen (Mariola Kopczynski): Sie zeigt eine Tischrunde aus Hexe (Martha), Clown (George), Superman (Nick) und Minnie Mouse (Putzi), während die Darsteller davon unberührt spielen, als wäre es das Normalste von der Welt. Zuweilen wird die schräge Maskerade nutzbar gemacht, um die Rollen und Beziehungen zu erhellen: Beim Look der kleingeistigen Putzi liegt die sprechende Funktion auf der Hand, zumal sie auch noch wiederholt „Mäuschen“ genannt wird. Bei Nick, gleichfalls simpel, aber selbstverliebt, macht der unglaubliche Superheldenbody Marthas Schmeichelei noch um einiges komischer: „Ich sehe, Sie sind immer noch sehr gut in Schuss.“
 In Beate Rüters starkem Spiel kippt der Tonfall in Sekunden. Auf heiteres Geplauder folgt schroff die nächste Bosheit gegen den „Versager“, ja „Handlanger“ – gemeint ist ihr Gatte. Dass latent die lauernde Angriffslust schwelt, ist spürbar, doch auffällig ist immer der Wechsel. Die Stärke von André Klems Rollenanlage liegt mehr in der Konstanz, in der ständigen, tückischen Gemütlichkeit.

Regisseurin Stefanie Smailes spielte lange selbst im Tic, ist inzwischen studierte Musical-Darstellerin. Ihre erste Regiearbeit lenkt Albees grausames Panorama mit Sinn für die Spannungen – die unterschwelligen wie die ausbrechenden. In seiner Reihe „Starke Stücke“ begibt sich das Tic an anspruchsvolle Stoffe – wohl um zu beweisen, dass es auch ernst kann. Bei „Virginia“ mag man resümieren: Schön ist das nicht – doch der Beweis ist erbracht. Schon beim Zwischenapplaus musste man sich die Erschütterung aus den Fingern klatschen.

Die nächsten Aufführungen: Freitag, 16. November, 20 Uhr, Samstag, 17. November, 20 Uhr.