Wuppertaler Kulturkolumne Was soll uns ausmachen?

Kolumne | Wuppertal · Emotionale Intelligenz ist vielleicht der notwendige, uns Menschen ganz eigene Gegenpol zur Künstlichen Intelligenz. Die Wuppertaler Kulturkolumne.

Gastautorin Hung-min Krämer beschäftigt sich mit dem Thema „Künstliche Intelligenz“.

Foto: ANNA SCHWARTZ

Ein Freund hat letztens ein Video in seiner Whatsapp-Story geteilt. Zu sehen waren zwei goldene Schlangen, die das Jetset-Leben führen, mal in Skianzügen mit Skibrillen, vor dem prasselnden Kamin, im Faux-fur auf dem Rücksitz einer Limousine, mit Champagnergläsern im Cocktailkleid und Anzug, am türkisblauen Pool. In der christlich-westlichen Symbolik ist die Schlange ja eher negativ konnotiert, und so fand ich dieses Video im ersten Moment irritierend. Ich empfand eine Mischung aus Staunen und leichtem Schaudern, etwas, das KI-generierte Videos schon manches Mal in mir ausgelöst haben.

Überhaupt ruft das Schlagwort „Künstliche Intelligenz“ die verschiedensten Reaktionen hervor; nicht wenige reagieren, vielleicht begründet, mit Sorge und Skepsis. Aber sogar auf die ersten Tomaten haben die Menschen in Europa mit Ablehnung reagiert. Und ungefähr so, wie wir um Tomaten in der europäischen Küche nicht mehr herumkommen, werden wir auch um die Künstliche Intelligenz nicht herumkommen.

Der Leiter des Kirchenchores, in dem ich singe, hat in einer beiläufigen Unterhaltung einmal darauf hingewiesen, dass er der Meinung ist, dass der Mensch in manchen Bereichen, zum Beispiel der Konzertmusik, nicht durch künstliche Intelligenz zu ersetzen sein wird. Ich habe ihm damals widersprochen, ohne ihn wirklich ausreden zu lassen; aber natürlich hat er Recht. Es wird immer Bereiche geben, in denen der Mensch durch das, was ihn ausmacht, einer künstlichen Intelligenz überlegen sein wird. Kreativität zählt allerdings nicht unbedingt dazu.

Realität und Fiktion, Täuschung und Illusion, Wahrnehmung und Erleben, das Austesten von Grenzen sind einerseits Themen, mit denen uns Künstlische Intelligenz manchmal beunruhigend konfrontiert; aber es sind auch seit jeher Gefilde, in denen kunstschaffende Menschen zu Hause sind. Und deshalb brauchen wir Menschen, die mit ihrer künstlerischen Intelligenz, mit ihrer Spielfreude und Neugier und auch mit ihrer nicht lobbyistisch gesteuerten Integrität und Begeisterungsfähigkeit die Möglichkeiten Künstlicher Intelligenz – und von Gesellschaft überhaupt – erforschen und mitgestalten. Und wir brauchen eine Gesellschaft, die Raum hat für diese Menschen.

Aber genauso brauchen wir Menschen, die ein kritisches Auge darauf behalten und aufmerksam sind. Wir brauchen, wie so oft, beides. Passend dazu lautet die diesjährige Jahreslosung: „Prüft alles und das Gute behaltet. 1.Thess. 5,21“.

Das eingangs beschriebene Video war übrigens einfach eine Art früher Neujahrsgruß zu dem nach dem chinesischen Horoskop heute, am 29. Januar, beginnenden Jahr der Schlange. In der chinesischen Tradition sind gute Wünsche immer auch stark an materiellem Wohlstand, Glück und Erfolg orientiert, das hatte der Clip illustriert. In einem Online-Artikel lese ich außerdem: „Die Holz-Schlange fördert innovative Denkansätze und lösungsorientiertes Handeln. Dies kann besonders in künstlerischen oder strategischen Berufen von Vorteil sein. Die Holz-Schlange ermutigt auch dazu, Konflikte diplomatisch zu lösen und emotionale Intelligenz in zwischenmenschlichen und gesellschaftlichen Beziehungen einzusetzen. “

Emotionale Intelligenz ist vielleicht der notwendige, uns Menschen ganz eigene Gegenpol zur Künstlichen Intelligenz, so wie die Fähigkeit, Gegensätze und Unterschiede zu integrieren. Großherzigkeit als Gegenmittel. In diesem Sinne wünsche ich uns allen ein erfolgreiches, künstlerisch kreatives Jahr der Schlange 2025 voller emotionaler Intelligenz und Großherzigkeit.

Hung-min Krämer ist Lyrikerin ( „Alles außer Haiku - Gedichte“; „Das ergibt sich dann“) und arbeitet als Architektin in Wuppertal.

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