Wuppertaler als Pioniere in Bogotá

Hilary Griffiths, Chef-Dirigent der Wuppertaler Bühnen, gastiert mit seinem Team beim Festival Iberoamericano de Teatro.

Herr Griffiths, Ende März stellt sich die Wuppertaler Oper in Bogotá vor. Sie dirigieren „La porta della legge“ von Salvatore Sciarrino beim Festival Iberoamericano de Teatro. Was bedeutet ein solches Gastspiel für die Wuppertaler Bühnen?

Hilary Griffiths: Das Festival Iberoamericano findet in jedem zweiten Jahr statt und ist das größte Theaterfestival der Welt. In diesem Jahr sind Ensembles aus mehr als 30 Nationen eingeladen, darunter Japan, Israel, Indien, Korea, Australien, Ägypten, USA und Lateinamerika. Der Schwerpunkt in diesem Jahr liegt aber auf Produktionen osteuropäischer Länder sowie auf Autoren und Stoffen, die sich den gesellschaftlichen Veränderungen und Verwerfungen der vergangenen Jahre und den Kriegen widmen. Insofern liegen wir mit Kafka hier ganz richtig. Und: Zum allerersten Mal ist eine Oper im Festivalprogramm — die Ehre hat Wuppertal.

Was bedeutet das für die Wuppertaler Bühnen?

Griffiths: Die kulturpolitische Bedeutung einer Teilnahme an einem solch renommierten Festival kann man gar nicht überschätzen. Unser Gastspiel mit dieser Oper in New York wurde bereits gekrönt durch die sehr positiven Rezensionen in der New York Times und dem Wall Street Journal. Außerdem wird durch unser Gastspiel eine Oper von Salvatore Sciarrino zum ersten Mal auf dem südamerikanischen Kontinent präsentiert. Das ist ein wichtiger musikalischer Meilenstein.

Sie sagen es: Die Wuppertaler Bühnen sind in Kolumbien Pioniere. Das Festival präsentiert zum ersten Mal eine Oper. Wer hatte die Idee zu dieser Premiere?

Griffiths: Das begann vor zwei Jahren, als ich einen Vortrag zur Ausbildung von Opernsängern bei einem internationalen Kongress in Bogotá hielt. Ich dirigierte in diesem Jahr „Die Hochzeit des Figaro“. Ich habe darauf aufmerksam gemacht, dass das Repertoire der Oper dort fast ausschließlich aus italienischen und französischen Werken des 19. Jahrhunderts besteht, und habe vorgeschlagen, man müsste sich mit den großen Opern des 20. Jahrhunderts auseinander setzen und auch zeitgenössische Stücke aufführen.

Dann möchten Sie echte Pionierarbeit leisten?

Griffiths: Ja, das möchten wir. Das Musiktheater-Publikum dort ist ein bisschen elitär, aber Schauspielaufführungen rufen enorme Begeisterung bei einem breiten Publikum hervor. Und ich fand, dass man dieses Publikum für die Oper gewinnen müsste, indem man zeigt, dass Oper auch gutes Theater sein kann. Die Kultusministerin hat mir zugestimmt und die Idee gehabt, ein modernes Stück beim Festival Iberoamericano zu präsentieren. Ich habe ein paar Vorschläge gemacht, und sie hat „La porta della legge“ ausgewählt — die Produktion wird vom Ministerium gesponsert.

Weshalb gab es bisher kein Musiktheater beim Festival?

Griffiths: Bisher waren das Publikum für Musiktheater und das Publikum für Schauspiel völlig getrennt. Wir wollen sie zusammenbringen.

Sie dirigieren nicht zum ersten Mal in Kolumbien. Welche Verbindung haben Sie zu Südamerika?

Griffiths: Vor 25 Jahren war ich zum ersten Mal in Kolumbien, wo ich in Bogotá und Cali innerhalb von drei Jahren zwei Opernproduktionen und zehn Sinfoniekonzerte dirigierte. Nach einem Wechsel im Kultusministerium war ich lange Zeit nicht da, bin aber seit vier Jahre wieder dort tätig. Im vergangenen Jahr wurde ich von der Kultusministerin aufgefordert, alle subventionierten Orchester im Lande zu besuchen und einen Bericht darüber zu schreiben — ein faszinierendes Erlebnis.

Sie gastieren regelmäßig als Dirigent des Orquesta Sinfónica Nacional de Colombia in Bogotá. Dieses Orchester wird nun auch Sciarrinos Oper in Kolumbien vorstellen. Worin besteht die Herausforderung, wenn man eine Inszenierung mit einem anderen Ensemble neu einstudiert?

Griffiths: In Wuppertal hatten wir den unschätzbaren Vorteil, ein Orchester zu haben, das mit Sciarrinos Musik bereits bestens vertraut war. In Bogotá werde ich zuerst den Musikern alle möglichen neuen Techniken beibringen müssen, die man für diese Musik braucht. Aber die Musiker dort sind sehr offen und sehr willig — und sehr diszipliniert. Wir haben nur extrem wenig Zeit für die Endproben, da jede Bühne tagtäglich für Aufführungen des Festivals benötigt wird.

Was schätzen Sie an Sciarrinos Werk?

Griffiths: Mich fasziniert zunächst einmal sein Spiel mit Klang und Stille — seine unglaublich raffinierte Art, mit kleinsten Details und Fetzen von Melodien umzugehen. Außerdem ist Sciarrino ein richtig theatralischer Komponist und seine Oper ist architektonisch außerordentlich gut gebaut. Die Musik spiegelt hervorragend Kafkas besondere Erzählweise — und die Inszenierung von Johannes Weigand trifft diese Kombination perfekt.

Was denken Sie: Wie werden die Reaktionen sein? Stehen Kolumbianer zeitgenössischem Musiktheater offen gegenüber? Wie schätzen Sie das dortige Publikum — im Vergleich zu den Wuppertaler Zuschauern — ein?

Griffiths: Ich erwarte große Neugier. Das Publikum dort ist sehr erfahren, was das Schauspiel angeht, und offen für alle neue Wendungen und Einflüsse. Ich hoffe, dass wir ein ganz neues Publikum für die Oper dort gewinnen, und den Leuten zeigen, dass man ein theatralisches Erlebnis von ganz neuen Dimensionen mit der Oper erfahren kann. In Deutschland ist Oper eine relativ normale und tagtägliche Erfahrung, in Kolumbien dagegen immer etwas Besonderes. Das Opernpublikum ist für das Standard-Repertoire sehr begeisterungsfähig. Ich hoffe, dass wir die Zuschauer auch für die Moderne gewinnen können.