Freies Netzwerk Kultur Wuppertaler Kulturkolumne: Etwas tun gegen die Lawinenstrategie

Kolumne | Wuppertal · Immer weiter dringt die Verhärtung faktenfreien Behauptens in den Alltag. Die Kulturkolumne des Freien Netzwerks Kultur.

Max Christian Graeff

Foto: C. Paravicini

Endlich nicht mehr Januar! ruft der Blick aus dem Fenster, und zugleich: Was denn, erst Februar? Dick liegt der Reif auf allem, was wir blühend lieben, und darüber schwappt die graublaue Suppe, die in den nächsten Wochen gelöffelt werden will. Aushalten heißt die Devise, zusammenrücken und widerstehen, den Frost nicht ins Herz kriechen lassen. Und gemeinsam in Bewegung bleiben, damit die Lawinentaktik der braunblauen Zerstörer unserer Vielfalt nicht aufgeht. „Flood the zone“ lautete Steve Bannons Strategie im ersten Trumpwahlkampf, und alle Menschenfeinde haben gut davon gelernt, es dem unumkehrbar schmelzenden Grönlandeis gleichzutun. Mit allabendlich talkenden Provokationen und zusätzlichen abertausend frivol parolierenden Plakaten blenden die Nazinahen unsere Augen im öffentlichen Raum und versuchen, uns auf allen Kanälen in die Aufregung zu jagen, wie es 2017 nach der Wahl angekündigt war. Die Mehrheit wird sich weiterhin nicht jagen lassen; die Frage ist nur, ob das reicht, um die demokratischen Gewohnheiten bestehen zu lassen.

Die Diversität der Sprache ist bereits auf dem Rückzug, wenn nicht auf der Flucht; immer weiter dringt die Verhärtung faktenfreien Behauptens in den Alltag vor und überformt das Denken und die Reflektion. Brutale Geländegewinne erzielte diese Motion in unserem plötzlichen Ausgeliefertsein an ein Virus und vor allem in der von einer vermeintlichen Normalität träumenden Vergesslichkeit danach. Vor fünf Jahren musste die WHO die internationale Gesundheitsnotlage ausrufen. Blitzartig entfaltete sich ein Karneval der Unvernunft und Egomanie, annektierte Begriffe wie den „Widerstand“ und das „Querdenken“ und nährte mit jauchesprühender Wut den Boden, den heute die AfD und Konsorten bestellen. Die Brandschneisen haben wir leichtfertig zuwachsen lassen und nun zieht das Feuer, das jedes besonnene Sprechen frisst, hemmungslos über die Länder. Was auf dessen Asche dann mal wachsen wird, ist ungewiss. Wesentliche gültige Äußerungen aller Künste über diese jüngste Vergangenheit blieben bis heute selten. Viele reflektieren nur die eigene Befindlichkeit, doch nicht das, was wir da aneinander taten.

Die Gemengelage aus Postpandemie, Kriegen, Ermächtigungen, sinnesüberfordernder markt- und politikgesteuerter KI und fortschreitender Gegnerschaft der rauschhaft zerstörten Natur lässt unsere zukunftssuchende Sprache vor den Deutungsstürmen in die Höhlen fliehen. Dort als bibbernde Kaninchen zu verharren, hieße paradoxerweise, sich erst recht von den asozialen Sinnverdrehern jagen zu lassen. Immer wieder also hinaus in den schneidenden Deutungssturm, in das Untersuchen der eigenen und der anderen Wörter. Und ins Widerstehen gegen die reaktionäre Mode, einen menschlichen Anstand als unanständig zu deklarieren. „Sprich fremde Sprachen im eigenen Land / zerstreu alle Zweifel an deinem Verstand“ – so sangen die Fehlfarben einst vieldeutig.

Die während der Pandemie durch herzlichste Hausmusik bekannt gewordene Marsh-Familie aus Kent reagierte jüngst mit dem Clip „Hitler was(n’t) a socialist“ zu Prokofjews „Tanz der Ritter“ von 1935 so emotional wie intelligent auf Alice Weidels und Elon Musks tolldreiste Provokation. Doch ausgerechnet die Meinungsschleuder Youtube sperrte den Clip (auf der Marsh-Webseite zu sehen) als Verstoß gegen die Hassrede. Auch solchen und abertausend anderen – nur scheinbar belanglosen – Absurditäten gilt es im graublauen Februar zu widerstehen. Treffen wir uns in der eigenen, also der freiesten Kunst, auf Lesungen und Konzerten, in Galerien und Theatern, auf Demos, in Küchen und im Gegenwind!

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