Wuppertals Sinfoniker lieben die Extreme

Toshiyuki Kamioka und seine Musiker begeisterten am Sonntag in der Stadthalle.

Wuppertal. Auch wenn ein Werk nicht beendet ist - "vollendet" kann es doch sein. Davon gab das 4. Konzert des Wuppertaler Sinfonieorchesters am Sonntag in der Stadthalle eindringlich Zeugnis.

Gustav Mahlers selten zu hörendes Fragment seiner 10. Sinfonie in Fis-Dur, wovon er das "Adagio" am weitesten ausgearbeitet hat, ist ein berückend klangprächtiges Stück Musik - sowohl in kammermusikalischer Ziselierung als auch in wuchtigen Orchester-Tutti von Wagnerschem Ausmaß und mit Brucknerscher Intensität. Dirigent Toshiyuki Kamioka arbeitet die Extreme zwischen weihevoller Ruhe, tiefer Abgeklärtheit und düsterem Aufbegehren, zwischen lyrischer Beschwingtheit der Streicher - bei denen selbst leiseste Klänge vollmundig und seidig klingen - und grellen Clustern der Blechbläser spannungsreich heraus. Er legt Wert auf lang gezogene Tempi, damit die Hörer im gut gefüllten Großen Saal den großen Bögen nachsinnen und Melodien auskosten können.

Diese Auffassung setzt sich in Franz Schuberts 7. Sinfonie in h-Moll ("Die Unvollendete") fort. Auch hierbei zeigt sich Kamioka als Fetischist der Genauigkeit. Dennoch wirkt das Allegro moderato nicht übermäßig romantisch aufgeladen und erklingt die sehnsüchtige Cello-Melodie in zügigem Tempo. Häufig abbrechende musikalische Gedanken, diabolische Steigerungen und furioses Fortissimo ordnet Kamioka stets dem großen Fluss unter, nichts stellt er plakativ oder unnötig heroisch heraus. Das Ergebnis ist eine sehr überzeugende Interpretation der mit zwei Sätzen abgeschlossen und fertig gestellt wirkenden Sinfonie.

Antonín Dvoráks 7. Sinfonie dagegen ist in traditioneller Viersätzigkeit geschrieben. Dennoch fällt dieses Werk aus dem Rahmen seines Schaffens. Es ist vergleichsweise düsterer, grüblerischer, manchmal blitzen heroische Geste auf - den heiteren Tonfall slawischer Volksmusik lässt es vermissen.

Auch hierbei fallen abgebrochene Gedanken auf - eine gebremste Aggressivität oder gewaltig aufbrausende Endungen. Und selbst das tänzerische "Scherzo" verschattet sich immer wieder. Nach dem Kräfte zehrenden Programm und grandioser Orchester-Leistung ist Kamioka eine gewisse Erschöpfung anzumerken - vielleicht aber entschädigen die stehende Ovationen des restlos begeisterten Publikums.

Das Sinfoniekonzert wird am Montag, 15. Dezember, um 20 Uhr im Großen Saal der Stadthalle wiederholt. Karten können unter Telefon 5694444 bestellt werden.