Lesung Schlemmers Fensterbilder in Worte gefasst

Zur Finissage der Ausstellung im Von der Heydt-Museum gestalteten sechs Autoren eine Lesung zu den in Wuppertal entstandenen Bildern des Künstlers.

 Dorothea Renckhoff (v.l.), Andreas Steffens, Dorothea Müller, Jürgen Kasten, Michael Zeller und Wolf Christian von Wedel Parlow lasen aus ihren Texten über die Fensterbilder von Oskar Schlemmer.

Dorothea Renckhoff (v.l.), Andreas Steffens, Dorothea Müller, Jürgen Kasten, Michael Zeller und Wolf Christian von Wedel Parlow lasen aus ihren Texten über die Fensterbilder von Oskar Schlemmer.

Foto: Fries, Stefan (fri)

Sie haben frühkubistische Züge, sind streng geplant, der Mensch tritt zurück, ist nur noch schemenhaft erkennbar. Oskar Schlemmers formalistisch-melancholische Fensterbilder, entstanden 1942 in Wuppertal, zeigen den Blick aus seiner Wohnung am Döppersberg 24. 2015 trommelte der Schriftsteller Arnim Juhre 18 Autorinnen und Autoren aus Stadt und Region zusammen, um über diese Bilder zu schreiben. Zur Finissage der Schlemmer-Ausstellung im Von der Heydt-Museum lasen an diesem Sonntag sechs von ihnen daraus im vollbesetzten Bürgersaal vor.

Oskar Schlemmers Zeit am Bauhaus war längst Vergangenheit, die Verfemung durch die Nationalsozialisten gegenwärtig, als er 1940 nach Wuppertal kam, beim Lackfabrikanten Herberts eine Stelle im „Lack- und Maltechnikum“ annahm. Der Krieg und gesundheitliche Probleme trübten bald seine Stimmung, die Arbeit, etwa am Lackkabinett, stagnierte. „Schlemmer zog sich zurück, suchte in seiner Freizeit nach neuen Ansätzen. Er fand diese beim Blick aus dem Fenster seiner Wohnung“, führte Ausstellungskuratorin Beate Eickhoff ins Thema ein. 20 kleinformatige Öl- oder Wasserfarben-Werke auf Papier nach fast ebenso vielen Skizzen schuf der „Jäger auf der Pirsch“, wie er sich selbst beschrieb, im Frühsommer 1942 – immer aus derselben Perspektive und immer zwischen 21 und 21.30 Uhr am Tag. Schlemmer war fasziniert vom Ergebnis, entdeckte die „Mystik des Optischen“.

Zwei Fensterbilder besitzt das Von der Heydt-Museum, die anderen lagern im Basler Kunstmuseum, wo sie Enkel Raman Schlemmer unter Verschluss hält. Gleichwohl, so Jürgen Kasten, gelang es 2015, ihn zur Herausgabe von acht Bildern zu bewegen, damit die Schriftsteller sie in Worte fassen konnten. Arnim Juhre hatte sie  gedrängt, „poetisch literarische Bildbetrachtungen“ zu diesem „Stück Wuppertaler Kunstgeschichte“ zu schreiben, erinnerte Michael Zeller, der zusammen mit Kasten, Dorothea Müller, Dorothea Renckhoff, Andreas Steffens und Wolf Christian von Wedel Parlow zum Vorlesen gekommen war. In Erinnerung an und Respekt vor dem mittlerweile verstorbenen Initiator Juhre und als würdiger Abschluss der Ausstellung.

Schlemmer entdeckte die „Mystik des Optischen“

Andreas Steffens steuert mit „Versagte Sehnsucht“ einen Sachartikel bei. Er ordnet darin die warm wie befremdend wirkenden Fensterbilder im Schaffen Schlemmers ein. Sie seien das bestürzende Zeugnis vollkommener Einsamkeit. Im Erträumen der idealen Wahrnehmung und deren idealer Darstellung habe Schlemmer die Wirklichkeit verfehlt. „Sie rächte sich als Sehnsucht.“

Alle anderen nehmen einzelne Bilder zum Ausgang für Gedenken, Geschichten, Gefühle. Michael Zeller (zu „Beleuchtete Küche mit Frau“) und Dorothea Renckhoff (zu „Raum mit sitzender Frau in violettem Schatten“) lasen aus ihren Gedichten („Die Stunde des Malers“ und „Die Schatten fallen schon ...“) vor. Wolf Christian von Wedel Parlow (zu „Wohnraum mit arbeitender Frau“) versetzt  sich in „Drehung im Dunkel“ in den Kopf Schlemmers und begleitet  ihn auf seinem Heimweg von der Arbeit in seine Wohnung. Raum für Betrachtungen über die unmenschlichen Arbeitsbedingungen für Zwangsarbeiter in Wuppertal, über Krieg und menschliche Schicksale.

Dorothea Müller und Jürgen Kasten entwickelten zu „Fensterbild mit Kommenden“ völlig unterschiedliche Geschichten. Während sie in „Dieser eine Augenblick...“ mit der Fantasie der Zuhörer spielt, entlarvt er in „Die Sonne stand schon...“ menschliche Vorurteile, die zeit- und raumlos sind. Die Gedankenwanderungen einer Frau, die die Hemden ihres an der Front kämpfenden Partners bügelt (zu „Bügelnde Frau“), drückt Dorothea Renckhoff gefühlvoll aus. Ebenso Dorothea Müller in ihrem Text „Sie schien sich heute ...“ zu dem Bild „Abendessen im Nachbarhaus“, bei dem eine vereinsamte Frau durch den Blick auf eine belebte Essensszene Gemeinsamkeit gewinnt.

Den Schlusspunkt setzte am Sonntag erneut Zeller, der zu „Beleuchtete Küche mit Frau“ auch einen Prosatext geschrieben hat, der an Schlemmer selbst erinnert. Den Maler, der allein zuhause, in eine andere Wohnung schaut und fasziniert zu malen beginnt...