Reportage aus Wuppertal „Mit dem Auto bis auf den Schulhof“ - ein Morgen zwischen Elterntaxis

Wuppertal · Hupende Mütter, schimpfende Väter und dazwischen Kinder, die einfach nur zur Schule wollen. Die WZ erlebte das Verkehrschaos am Schulzentrum Kothen in Wuppertal.

Tür auf und raus: Um kurz vor 8 Uhr ist es vor dem Schulzentrum am Kothen wuselig.

Foto: Fries, Stefan (fri)

Eine Zipfelmütze huscht im Zick-Zack-Kurs zwischen den Autos her. Zu ihr gehört eigentlich noch ein kleiner Junge mit Tornister, aber da sich sein Kopf auf Höhe der Kühlerhauben befindet, ist der Erstklässler für die Autofahrer nicht zu sehen. Kurz vor 8 Uhr herrscht der ganz normale Wahnsinn an der Schluchtstraße. Vor dem ersten Schulgong bildet sich hier an jedem Werktag ein wilder Strudel aus Elterntaxis, Bussen, Baufahrzeugen sowie kleinen und großen Fußgängern. Anfahrtsziele sind das Gymnasium am Kothen, das benachbarte Berufskolleg, die Grundschule Petersstraße, der Waldorfkindergarten und die freie Waldorfschule. Hupende Mütter treffen auf schimpfende Väter. Doch wenn am Schluss der Sprössling aus der warmen elterlichen Karosse schlüpft, wird die Fahrer-Faust liebevoll zur Kusshand geformt.

Blick zurück: Um 7.20 Uhr steigt Dustin Hufeisen als einer der ersten aus einem Wagen vor dem Berufskolleg. Der 19-Jährige schlendert gemütlich zur Schule. Er sagt: „Also um die Zeit hat man hier nie Probleme.“

Um 7.35 Uhr sieht die Lage ganz anders aus. Als hätte irgendwo jemand eine Schleuse geöffnet, strömen mit einem Mal massenweise Menschen und Autos das Wohnquartier Kothen hinauf.

Größere Schülergruppen ab sechs Personen beanspruchen auch die Fahrbahn für sich und bremsen mit der Selbstverständlichkeit einer umherziehenden Tierherde die Autofahrer aus. Mit zunehmender Verstopfung der Zufahrt wird die Straßenverkehrsordnung zur unverbindlichen Empfehlung. Die ersten Autos parken am Straßenrand hinter den Parktaschen, so dass kein Fahrzeug mehr in einer Bewegung wenden kann – und wenden muss oben jeder. Das System fällt langsam in sich zusammen. Da sich inzwischen ein Stau gebildet hat, lassen einige Eltern ihre Kinder mitten auf der Straße raus. Diese tauchen aus dem Abgas-Nebel der Fahrzeuge auf, so als wären sie kleine Rockstars bei einer Bühnenshow.

Nachdem das Kind aus dem Auto ist, geben viele Eltern Gas

Die Schüler, die sich zu Fuß auf den Weg gemacht haben, lassen das Schauspiel an sich vorbei ziehen. Lena (13) sagt: „Ich finde es unnötig, dass die Leute bis ganz oben fahren.“ Lavinia (13) beäugt das Chaos skeptisch: „Die halten hier sogar auf dem Bürgersteig. Das ist wegen der Grundschüler total gefährlich.“ Otis (14) könnte es sich überhaupt nicht vorstellen, von seinen Eltern bis zur Schule gefahren zu werden: „Im Bus hat man doch viel mehr Spaß. Da bin ich mit Freunden unterwegs.“

Eltern argumentieren: „Das ist doch nicht verboten“

Um 7.45 Uhr ist jeder Parkplatz rund um die Schule belegt. Autos, deren Windschutzscheibe nur notdürftig von Eis befreit wurde, halten in dritter Reihe. Für viele Eltern ist die Fahrt der Kinder aus der Not geboren – sagen sie. Matthias Richard (43) lässt nach dem Parken seine zwei Söhne zur Grundschule flitzen. „Das war mal eine Ausnahme“, sagt er. „Wir waren heute spät dran.“ Allerdings: So selten scheint der Familienvater gar nicht vor Ort zu sein, denn die ungeordneten Verhältnisse vor der Schule kennt er bestens. „Die Leute fahren ihre Kinder ja quasi bis auf den Schulhof“, kritisiert er. „Interessant“ findet er, dass gerade die Eltern, die sich so um ihre Kinder sorgen, nach dem Abliefern der Junioren „plötzlich keine Geschwindigkeitslimits mehr kennen“.

Matthias Richard gehört zu den einsichtigen Eltern. Es gibt auch ganz andere. Schulleiter Claus-Alexander Wyneken vom Gymnasium am Kothen hat im vergangenen Jahr gemeinsam mit den anderen Schulen und dem Ordnungsamt auf der Schluchtstraße dafür geworben, dass Eltern ihre Kinder nur in Ausnahmefällen zur Schule fahren. Mit Schokolade stand die Truppe da und appellierte an die Vernunft der Fahrer. „70 Prozent der Eltern sind nicht einsichtig“, berichtet Wyneken von dem enttäuschenden Ergebnis. „Da stoßen wir ganz schön auf Gegenwind.“ Oftmals sei die Argumentation gewesen: „Das ist doch nicht verboten.“

8.02 Uhr: Langsam trudeln die letzten Elterntaxis ein. Der Fahrer eines 3er BMWs beweist mit Fuß auf dem Gaspedal, wie lautmalerisch er einparken kann. Das ganz große Chaos hat sich gelegt. Auch der Stau, der sich im Wohngebiet unterhalb des Schulzentrums gebildet hat, ist abgeflossen.

Der unfreiwillige Flashmob ist vorbei. Verletzt wurde niemand, genervt waren sie alle. Schulleiter Claus-Alexander Wyneken glaubt aber nicht, dass dieses Spiel vor seiner Tür auf Dauer immer so gut ausgehen wird: „Blechschäden hat es hier definitiv schon gegeben.“