Musikhochschule auf Reisen Mit der Wuppertaler Gitarrenklasse nach Estland

Wuppertal · Professor Gerhard Reichenbach reiste mit zehn Studenten nach Tallinn.

Professor Kirill Ogorodnikov (r.) und Professor Gerhard Reichenbach (2.v.r.) mit ihren Gitarrenklassen in Estland.

Foto: Estonian Music Academy Tallinn

Die Gitarrenklasse der Musikhochschule Wuppertal gab in Estland ein erfolgreiches Konzert zu Bildern von Goya. Der Zyklus „Los Caprichos“ des spanischen Malers Francisco de Goya (1746-1828) gilt als ein Schlüsselwerk der europäischen Kunstgeschichte. Die meisten der 80 Radierungen halten dem Betrachter einen gesellschaftskritischen Spiegel vor. Sie zeigen Laster, Betrügereien, Fehlverhalten. Durch die Bilder, die zwischen 1793 und 1799 erschienen, bewegen sich Adelige und angesehene Bürger, aber auch Monster, Fabelwesen und Verrückte. Die „Caprichos“ (spanisch: Launen) wurden mit ihrem Horrorkabinett aus Dummheit, religiösem Wahn und Lasterhaftigkeit berühmt. Die großartigen, teilweise verstörenden Bilder waren eine Inspirationsquelle für andere Künstler. Den italienischen Komponisten Mario Castelnuovo-Tedesco (1895-1968) regten sie zu einem der bedeutendsten Werke des Gitarrenrepertoires an. Zu 24 der Radierungen Goyas schuf er einen Zyklus für Solo-Gitarre. Gerhard Reichenbach (59), einer der international führenden deutschen Konzertgitarristen, sah vor vielen Jahren Goyas Radierungen im Prado-Museum in Madrid und war davon sehr beeindruckt. Er kaufte die Noten von Castelnuovo-Tedesco, den er als „starken Komponisten für Gitarre“ kannte, und wollte das Werk erarbeiten. Doch dazu kam es nicht, denn ihm fehlte die Zeit. Seit 44 Jahren steht Reichenbach mit einem großen Repertoire auf den Bühnen der Welt, seit 30 Jahren ist er als Professor für Gitarre tätig, seit 15 Jahren an der HfMT am Standort Wuppertal. „Wenn man so großartige Studenten hat, kann man solch großartige Kompositionen verwirklichen“, freut sich Reichenbach, der seit einem Jahr intensiv mit seinen Studenten an dem Projekt arbeitet. Im November reiste er schließlich mit neun jungen Gitarristen und einer Gitarristin nach Tallinn.

Die erste Gitarrenklasse, die alle 24 Stücke aufgeführt hat

Dort im prächtigen neuen Konzertsaal der Estonian Music Academy gestalteten sie das erste Konzert mit Klassischer Gitarre überhaupt. „Die Akustik ist hervorragend, das Publikum, darunter sehr viel Fachpublikum, war begeistert“, berichtet Reichenbach. Seine Gitarrenklasse spielte im Wechsel mit den Studenten von Professor Kirill Ogorodnikov von der Estonian Music Academy. „Wir sind die erste Gitarrenklasse, die alle 24 Stücke aufgeführt hat“, erklärt Reichenbach stolz. Konzerteinladungen führten ihn seit 2001 mehrfach nach Estland, vor allem in die Hauptstadt Tallinn. Kirill Ogorodnikov studierte von 2014 bis 2017 bei Reichenbach in Wuppertal. Heute ist er einer der führenden klassischen Gitarristen der jungen Generation in Estland und Professor an der Music Academy. Zusammenarbeit und ein gemeinsames Konzert in Tallinn lagen daher nahe. Reichenbach hielt zu Goyas Radierungen einführende Vorträge und moderierte die Veranstaltung. Gespielt wurde der gesamte Zyklus in zwei Konzerten an einem Abend.

Zur Musik wurde jeweils das entsprechende Bild Goyas auf einem Bildschirm gezeigt. Dazu hatte Reichenbach Untertitel in deutscher, englischer und estnischer Sprache vorbereitet. Jhostin Misael Guzmán Martinez spielte im Konzert die ersten drei Stücke und ist begeistert: „Die Musik ist sehr anspruchsvoll und sehr interessant. Sie verdeutlicht jeweils das Bild und die Atmosphäre“, erklärt der hochtalentierte Gitarrist aus Mexiko, der schon etliche Preise bei internationalen Wettbewerben gewonnen hat. „Das zweite Stück „Tal para qual“ (Zwei von einer Art) ist voller Energie und steigert sich mehr und mehr“, beschreibt der 25-Jährige, der sein Masterstudium an der HfMT in Wuppertal abgeschlossen hat und sich nun im Studium für das Konzertexamen bei Professor Reichenbach befindet. Am Ende des Konzerts stand das Bild „Sueño de la mentira y la inconstancia“ (Der Traum von Lüge und Wankelmut). „Die Musik ist wie ein Rezitativ, Bild und Musik präsentieren herbe, zeitlose Kritik, es schließt sich der Kreis“, erklärt Reichenbach.

Das gemeinsame Konzert in Tallinn und der intensive Austausch mit den estnischen Kollegen war so erfolgreich, dass alle Beteiligten ein weiteres gemeinsames Projekt sehr schön fänden. „Es gibt Gespräche“, sagt Reichenbach und hat auch schon eine Idee, welchen weiteren Schatz der Gitarrenliteratur man gemeinsam heben könnte. Geplant ist aber noch nichts, denn Organisation, Vorbereitung und Finanzierung sind nicht leicht zu verwirklichen.