Rentiere packen aus: „Wir sind doch keine Spargelstecher“
Exklusiv: Die WZ sprach im Zoo mit den berühmtesten Saison-Arbeitern über deren angekündigten Weihnachts-Boykott.
Sehr geehrte Rentiere im Wuppertaler Zoo. Uns ist zu Ohren gekommen, dass Sie sich in diesem Jahr gar nicht oder nur unter Protest vor den Karren des Weihnachtsmannes spannen lassen. Wollen Sie tausende Wuppertaler Kinder ins Unglück stürzen?
Rentier Wuppi: Das nicht, aber Sie wären ja nicht hier, hätten wir nicht zum Äußersten gegriffen. Die Welt und Wuppertal müssen endlich erkennen, was sie an uns Rentieren haben. Es geht nicht länger an, dass unsere Qualitäten nur von Nomaden am Polarkreis und alten Männern mit weißen Bärten gewürdigt werden, während uns der Rest der Welt Rudi oder Rudolph nennt.
Werden Sie nicht frech. Rentiere haben nicht einmal bei minus 20 Grad rote Nasen. Auch bei Schnupfen nicht, obwohl man sich den ja hier im verregneten und viel zu warmen Bergischen Land ziemlich schnell holt. Letztes Jahr wollte uns unser Chef Pappnasen aufsetzen. So sollten wir dann über Wuppertal schweben und Geschenke verteilen. Aber nicht mit uns.
Und ob, seit uns das Land den Feiertagszuschlag gestrichen hat, weil die Stadt den Eigenanteil nicht mehr aufbringen kann, und seit wir nicht mehr unbeobachtet über die Nordbahntrasse fliegen können, weil da ständig gut gelaunte Menschen Gestrüpp schneiden, ist das mit dem Geist der Weihnacht nicht mehr so toll.
Ganzjährige Aufmerksamkeit wäre doch schon mal etwas. Wir wollen nicht länger als Saisonarbeiter wahrgenommen werden, die zu Weihnachten von Schornstein zu Schornstein hetzen und den Rest des Jahres nicht in Lohn und Brot stehen. Wir sind doch keine Spargelstecher.
Schick? Schick ist das, was die Löwen haben. Eine Savannenlandschaft wie bei Daktari. Dabei sind die Katzen stinkfaul. Oder haben sie schon mal einen Löwen vor einem Weihnachtsmann-Schlitten gesehen?
Sehen Sie, wenn den Kätzchen nicht gerade zu kalt ist, zeugen sie vor lauter Langeweile ständig Nachwuchs. Und ist der erst einmal da, wird ein Riesen-Getöse um die Brut gemacht. Noch schlimmer sind die Elefanten. Die sind ohnehin schon untergebracht wie in einem Fünf-Sterne-Hotel. Wenn da so eine Dickhaut wirft, tut alle Welt so, als sei der Stern von Bethlehem aufgegangen. Dabei sind wir es, die für festlichen Glanz in jeder Wuppertaler Wohnung sorgen - oder sehen Sie das etwa anders? Als wir hier Junge gekriegt haben, hat niemand davon Notiz genommen. Zoobesucher halten uns für Rehe, andere für Elche. Aber die meisten gehen völlig achtlos an uns vorbei.
Ja, kam dieses Jahr. Aber wir sind schon wieder voll flugfähig, auch wenn wir immer noch ein Betreuungsproblem haben. Tagesmütter sind in der Stadt ja nicht zu bekommen, schon gar nicht zu Weihnachten. Und die Krippen sind alle geschlossen über die Festtage. Ist doch paradox, wo sich doch im Moment alles um eine Krippe dreht.
Ich sag es Ihnen. Wir sind vom Fach. Mit uns fährt so schnell keiner Schlitten. Apropos Schlitten, haben Sie geguckt, was da so alles drinliegt? Gutscheine. Den Leuten fällt einfach nichts mehr ein. Nichts Selbstgebasteltes mehr, keine nützlichen Gebrauchsgegenstände mehr. Nein, Gutscheine. Letztes Jahr hatte unser Chef ein paar von den Gutscheine für Bewilligungsbescheide gehalten und im Rathaus abgegeben. Hätte er sich eigentlich denken können, dass das nicht sein kann. Jedenfalls ist der Kämmerer damit zu H&M gerannt und hat irgendwas von Haushaltskonsolidierung erzählt. Die haben gar nicht kapiert, was der wollte. Dafür haben wir den Ärger gekriegt, weil unser Chef ein bisschen zu tief in die Glühweintasse geguckt hatte.
Nun reiten Sie doch nicht ständig auf den roten Nasen herum. Sie sehen doch, was wir für eine Verantwortung tragen. Dafür werden wir echt zu schlecht bezahlt.
Ist nicht Ihr Ernst. Damit kommt er doch in keine Umweltzone. Naja, soll er nur. Im ersten Stau auf der A46 wird er sich uns zurückwünschen.
Wir denken drüber nach, wenn unsere Forderungen erfüllt werden: Freie Schlittenfahrt für das Christkind, tariflich festgelegter Mutterschutz für alle tragenden Rentiere bei vollem Lohnausgleich und die Selbstverpflichtung jedes Zoo-Besuchers, mindestens 15 Minuten vor unserem Gehege zu verweilen. Und: Nennt uns nie wieder Rudolph.