Stefan Ernst: Der schnelle Wortfänger aus Wuppertal

Porträt: Stefan Ernst ist Stenograf aus Leidenschaft. Er war schon als Jugendlicher Weltmeister im Mitschreiben.

Wuppertal. Düsseldorf - der Landtag von Nordrhein-Westfalen vor einigen Jahren. Vor dem Gebäude protestieren Studenten lautstark gegen Studiengebühren. Ein paar sind plötzlich auf der Zuschauertribüne und werfen Flugblätter ins Plenum. Helle Aufregung unter den Abgeordneten, Tumult im Saal. Es wird unübersichtlich - doch Stefan Ernst behält die Ruhe. Der Stift des Wuppertalers fängt jedes wichtige Wort im Saal ein.

Wenn Ernst, der Verhandlungsstenograf, bei solchen Parlaments-Sitzungen oder anderen Ereignissen zu Stift und Block greift, muss er hoch konzentriert sein. Nicht nur das gesprochene Wort der Anwesenden hält er präzise fest - auch Zurufe aus dem Plenum oder lautes Gelächter einer Fraktion, all das protokolliert der 31-jährige mit kryptischen Kürzeln, die für Außenstehende nicht entzifferbar sind.

Angefangen hat diese Karriere mit dem dringenden Wunsch nach einem Computer. Die Mutter des damals 13-Jährigen bestand darauf, dass er zuerst Maschinenschreiben lernte. Er besuchte einen Kurs im Stenografenverein im westfälischen Hamm, seiner Geburtsstadt - und kam so in Kontakt mit der älteren Kunst der Stenografie. Schon seine ersten Schreibübungen absolvierte Ernst so gut, dass er bald an Jugendwettkämpfen teilnahm. Und gewann. Zu seinen Titeln gehört unter anderem der des Jugendweltmeisters in Stenografie-Schnellübertragung. Hierbei geht es darum, möglichst schnell die zuvor notierten Kürzel zu einem korrekten Text zu verarbeiten.

Später holt ihn der inzwischen verstorbene Stenografie-Meister Arthur Lux nach Dortmund und nimmt ihn für knapp zwei Jahre unter seine Fittiche. Bei ihm erlernt Ernst das Stenoschreiben in Vollendung. Lux ist so begeistert von seinem neuen Schüler, dass er ihm Privatunterricht gibt. Mehr als auf ein gutes Gedächtnis kommt es beim Mitschreiben darauf an, das Gehörte so weit wie möglich zu verkürzen. So wird aus langen Begriffen wie dem Deutschen Bundestag ein einziges unscheinbares Zeichen, das Ernst mit einer schnellen Handbewegung aufs Papier schreibt.

Inzwischen beherrscht Ernst die höchste Stufe des Stenografierens, die Redeschrift. Bis zu 475 gesprochene Silben pro Minute kann man erfassen. Zum Vergleich: Ein Tagesschausprecher bringt es auf etwa 240 bis 250 Silben. Um diese Stufe zu erreichen, braucht es hartes Training und ständiges Wiederholen. Und genau das hat er beim Meister in Dortmund getan.

So hält er auch nicht viel von Ton- und Videoaufnahmen, um Protokolle anzufertigen. Höchstens bei Uneinigkeiten mit einem Redner, der sich falsch verstanden fühlt, greift er darauf zurück. "Stenografen sind wesentlich effektiver", sagt Ernst. Um eine ganze Parlamentssitzung festzuhalten und jeden aufgezeichneten Zuruf zuzuordnen, wäre einfach zu viel technische Ausrüstung nötig. Und eine reinschriftliche Fassung der Sitzung hat man dann immer noch nicht.

"Es ist unerlässlich, sich im Thema und in der Fachsprache einer Veranstaltung gut auszukennen" sagt Ernst. Mitdenken ist gefragt, das kann noch keine Maschine. Wortneuschöpfungen, wie sie von Politikern immer wieder benutzt werden, müssen improvisiert werden. Ein neues Kürzel wird erfunden oder bestehende werden kombiniert. "Es gibt keinen Menschen, der so schnell sprechen kann, dass man nicht mehr mitkommt", ist Ernst sicher.

Den größten Teil der Arbeit hat er aber nach der Mitschrift. So rechnet man für einen einstündigen Stenografie-Einsatz mit etwa neun bis zwölf Stunden Nacharbeit. Das gesprochene Wort muss sinngemäß und in gutem Deutsch wiedergegeben werden. Vor allem muss Stefan Ernst wissen, was der Redner gemeint hat. Wie schwierig das sein kann, merkt man, wenn man sich an die berühmte Transrapid-Rede von Edmund Stoiber erinnert: "Wenn Sie vom Hauptbahnhof in München mit zehn Minuten, ohne dass Sie am Flughafen noch einchecken müssen, dann starten Sie im Grunde genommen am Flughafen..." Stefan Ernst schmunzelt: "Der Stenograf war wirklich nicht zu beneiden."

Professionelle Stenografen gibt es in Deutschland nur eine Handvoll. Es ist eher ein Nischenberuf, der nur durch Zusatzqualifikationen erreicht werden kann. Stefan Ernst ist überzeugt: Ein wirklich guter Stenograf wird man nur durch "üben, üben, üben".