Kultur Wuppertal: Literarisches Ratespiel bei entspannter Lounge-Musik
Wuppertal · Bestens gelauntes Ersatzteam gestaltet die „Unvorhersehbar“.
Es ist eine Mischung aus feierlich und improvisiert, was das Format „Unvorhersehbar“ stets durchzieht – schon vor dem eigentlichen Start. Um einiges planloser als vor einer Premiere steht man eine Weile im Opernfoyer herum, bevor zum Aufstieg in jene „Bar“ gebeten wird, ohne Konkretes zu verraten. Was oben bei der neuesten Ausgabe wartete, war ein literarisches Ratespiel mit je drei ersten Sätzen – wie stets bei entspannter Lounge-Musik.
Unvorhersehbar gestaltete sich das Programm diesmal auch für die Akteure: Dramaturgin Marie-Philine Pippert führte als Ersatz nach einem Ausfall im Ensemble durch den Abend: „Es ist eben unvorhersehbar...“ In einer Sitzecke, nur per Stehlampe als „Bühne“ markiert, war als erstes „Rätsel“ schnell geklärt, wer als „Special Guest“ dabei sein würde: Gleichfalls eingesprungen war Thomas Braus, Schauspieler und Intendant, er übernahm die Lesepassagen der Werke, die es zu bestimmen galt – mit einigem Eigensinn.
Von Tolstoi über Kafka und Ferrante bis Shakespeare
Wohl manchen im gut gefüllten Barraum mochte insgeheim etwas wurmen, beim Lösen anhand der drei Einstiegssätze öfters seine Probleme zu haben. „Alle glücklichen Familien sind auf gleiche Weise glücklich, aber jede unglückliche Familie ist auf ihre besondere Art unglücklich“ – das war noch einer der schnell erkannten Romananfänge, er stammt von Lew Tolstois „Anna Karenina“. Aufgezeigt und richtig benannt wurde auch bei Kafkas „Prozess“ oder „Meine geniale Freundin“ von Elena Ferrante. Wer reüssiert hatte, erhielt flugs die Belohnung in Gestalt des herbei schwebenden „Kellners“, der Gratis-Tee brachte – und nebenbei das Gespann Pippert/Braus dezent zum Trio komplettierte: „Wer fühlt sich denn angesprochen, gemurmelt zu haben?“
Zu den Einsichten mochte rasch zählen: Wenn man Satz eins nicht erkennt, bringen Satz zwei und drei es auch nicht. Eine weitere, tröstlicher: Schon der Tonfall gibt Hinweise. Beispiel: „Der Rheingau hat mich hervorgebracht, welcher, gelinde und ohne Schroffheit sowohl in Hinsicht auf die Witterungsverhältnisse wie auf die Bodenbeschaffenheit, reich mit Städten und Ortschaften besetzt und fröhlich bevölkert, wohl zu den lieblichsten der bewohnten Erde gehört.“ Wer das nicht kannte, doch vage Thomas-Mann-Stil wähnte, lag richtig; dann noch von einem betrügerischen Vater zu hören, der billigen Schaumwein als kostbar verkauft, ließ richtig auf Manns „Bekenntnisse des Hochstaplers Felix Krull“ schließen.
Doch so sehr auch bei der „Unvorhersehbar“ ein Reiz im gefühlt Halb-Privaten, nicht ganz „Bühnenhaften“ liegt: Es blieb doch auch diesmal, zum Glück, ein Abend nach Gusto der Künstler – dem Vergnügen der Zuschauer kam genau das zugute. Zu leicht machen wollte es das Team erkennbar nicht. Ein ziemlich unbekanntes Werk hatten sie schon fast zu Beginn recht „unpädagogisch“ als Quiz-Aufgabe gewählt: „Sein oder Nichtsein“ von Klaus Pohl – kein Wunder: Es spielt in der Sphäre von Braus und Co. und erzählt von den Proben einer berühmten „Hamlet“-Inszenierung des Regisseurs Peter Zadek. Oder wie der Co-„Hausherr“ an anderer Stelle feixte: „Weiß jemand schon, was es ist? Nein?“
Wie schön die Prägung des Programms durch die Theaterleute sein kann, zeigte sich besonders, als Braus nach einem einstigen Stück im Spielplan fragte und besagte Stehlampe in ein „Rateobjekt“ wandelte: „Ich habe in dieser Inszenierung diese Lampe über die Bühne getragen. Mehrfach.“ Shakespeares „Sturm“ war die Antwort – seine erste Produktion als Intendant. Eine Ahnung von „großem Theater“, die die Qualität auch dieser „Unvorhersehbar“ unterstrich.