Adventskalender: Wir hier im Quartier Wuppertaler Brill: Zwischen alten Villen und jugendlicher Frische
Wuppertal · Das Briller Viertel ist das größte Villenviertel der Gründerzeit in Deutschland – aktuell befindet es sich im Wandel.
Mehr als 245 Häuser stehen im Briller Viertel unter Denkmalschutz. Wurden diese im 19. und 20. Jahrhundert noch von wohlhabenden Industriellen bewohnt, findet man in vielen der pompösen Gebäude mittlerweile moderne Wohnkonzepte vor. Die Villen werden zu Mehrfamilienhäusern umgebaut, sind die Wohnflächen doch einfach zu groß und die Nebenkosten viel zu hoch für eine einzelne Familie. Während in den 70er- bis 90er-Jahren vor allem ältere Menschen ins Viertel zogen – unter anderem aufgrund der horrenden Mieten –, finden nun immer mehr junge Familien im Briller Viertel ihr Zuhause. Frischer Wind weht durch das Quartier – das sieht man auf den Straßen, aber auch am neuen Angebot samt Flohmarkt und coolem Secondhand-Gitarrenladen.
Das Briller Viertel wurde im 19. Jahrhundert angelegt. Die Sadowa-, Viktoria-, Moltke- und Bismarckstraße entstanden und wurden mit Villen bebaut. Eines der ersten Gebäude war die Schützengesellschaft. „Die Räumlichkeiten wurden vor allem von den Industriellen genutzt, um schöne Feste zu feiern“, weiß Ellen Kineke, Bezirksbürgermeisterin von Elberfeld-West. Sie selbst lebt ebenfalls am Brill und erzählt: „Auch heute wird dort noch viel gefeiert.“
Die nächste Bauwelle kam nach dem Ersten Weltkrieg. „Da gab es einen Architekten, der hier zehn bis 15 Villen entworfen hat“, so Kineke. „Und in der 70er- und 80er Jahren sind dann hier große Mehrfamilienhäuser entstanden.“ Diese lassen sich beim Spaziergang auf den ersten Blick erkennen. Die großen, klobigen Bauten tanzen neben den feinen, altehrwürdigen Villen sichtbar aus der Reihe. Eine dieser besagten Villen bewohnt Daniel von Baum. Der Familie des Immobilienmaklers gehören mehrere Villen im Viertel, er selbst hat sein Büro im imposanten Anwesen Am Buschhäuschen 7. „Ich kenne das Viertel sehr gut, wohne hier schon seit meinem ersten Lebensjahr“, erzählt der Wuppertaler. „Nach meinem Studium zog ich in das Haus Am Buschhäuschen 65, ein klassischer 70er-Jahre- Bau. Das war früher der Gemüsegarten von Hausnummer sieben, bis mein Großvater das Grundstück ausgliederte und ein Mehrfamilienhaus dorthin baute.“
Das beachtliche Gebäude mit der Hausnummer sieben wurde 1907 errichtet. „Das Haus ist seit Mitte der 20er-Jahre im Besitz meiner Familie. Der Erbauer war ein Bankier, der Schwierigkeiten während der Hyperinflation in den 20er-Jahren hatte“, weiß Daniel von Baum. „Dann hat sein Schwiegersohn, Werner von Baum, ihm das abgekauft.“ Er selbst lebt erst seit vier Jahren im Haus, folgte auf seine Tante Ute Bellinghaus. „Wir mussten viel Arbeit hier reinstecken. Alles natürlich in Absprache mit dem Denkmalamt“, betont der Makler. Abgehängte Decken wurden wieder heruntergenommen, Teppichböden von alten, edlen Holzböden entfernt.
Als original „Briller Jung“ erkennt auch Daniel von Baum, dass sich das Viertel wandelt: „Man geht mit der Zeit. Familien ziehen her. Die Anbindung zur Kaiserhöhe und zur Stadt ist super. Das ist auch das, was es hier so lebenswert macht.“ Dies bestätigt Karoline Mostert. Gemeinsam mit ihrer Familie lebt sie seit einigen Jahren am Brill und ist eine der drei Organisatorinnen des beliebten Viertelflohmarkts. Die Idee dahinter: „Es kostet nichts. Wir sind die Organisatorinnen, aber nicht die Veranstalter. Jeder kann auf seinem privaten Grundstück teilnehmen und verkaufen, was er möchte“, erklärt Mostert.
Die erste Auflage fand 2022 statt. Organisiert von Mostert, Cathy Reinbothe und Katha Pfeiffer. „Ich habe die Idee ein bisschen vom Arrenberger abgekupfert. Ich bin damals dort herumgelaufen und fand es total cool, in die Häuser reingucken zu können, und dachte, vielleicht funktioniert das auch am Brill“, erinnert sich Karoline Mostert. Über eine Nachbarschaftsplattform fragte sie weitere Anwohner, was sie von der Idee hielten: „Die Resonanz war eigentlich positiv und Cathy und Katha haben sich für die Organisation angeboten.“ Aus eigener Tasche ließen sie Flyer drucken, verteilten sie an alle Haushalte. Das Ziel: mindestens 40 Anmeldungen. „Am Ende waren es knapp 170“, erinnert sich Mostert stolz. Im vergangenen Jahr wurde diese Zahl sogar getoppt: Mehr als 200 Anmeldungen gingen ein. „Das war schon riesig und da sind wir auch stolz drauf“, freut sich die Wuppertalerin. Am 15. Juni 2025 soll die nächste Auflage an den Start gehen.
Viertelflohmarkt und Gitarrenladen sorgen für frischen Wind
Der Grundgedanke hinter der Veranstaltung ist laut Mostert, die Nachbarn zusammenzubringen sowie der Nachhaltigkeitsaspekt. „Das Viertel hat relativ wenig Sperrmüll im Vergleich zu anderen. Aber es werden Dinge weggeschmissen, die da nicht hingehören“, erklärt sie. „Ich denke, Sachen sollten umverteilt werden. Die Produktion und das Entsorgen sind aufwendig und es wird anderswo mehr gebraucht.“ Vor allem Kinderkleidung werde beim Flohmarkt oftmals verkauft.
Ein weiteres Indiz dafür, dass sich das Viertel weiter verjüngt. „Für Familien ist es durchaus attraktiver geworden, hier zu wohnen“, betont Karoline Mostert. „Die Kinder haben Freunde im Viertel. Wir liegen oben, gucken über die Stadt, sind stadtnah, aber haben nicht mit den Dingen zu kämpfen, womit man dann weiter unten Probleme hat. Nicht viel Verkehr, keine Lautstärke. Man ist überall schnell, es ist grün.“
Auch das Freizeitangebot im Briller Viertel ist nicht außer Acht zu lassen. Es gibt einige Restaurants – und die Filiale vom Bäcker Myska an der Briller Straße ist längst zum Treffpunkt am Wochenende geworden. „Da stehen samstags alle in der Schlange und tauschen die Geschehnisse der letzten Woche aus“, weiß Ellen Kineke. Ein weiterer neuer Treffpunkt an der Briller Straße ist der Briller Stromgitarrenladen. Vor einem Jahr eröffnete Norbert Weinrowsky den Secondhand-Laden für Gitarren. Heute führt er ihn gemeinsam mit Gitarrenbauer und -techniker Reiner Bigge. „Ich verkaufe Gitarren und kaufe sie an. Alle drei Monate veranstalte ich kleine Konzerte für ungefähr 25 Personen“, erzählt der Inhaber. Auf einer kleinen Bühne nehmen Wuppertaler, aber auch national bekannte Künstler und Bands Platz und spielen private, intime Gigs für Leute aus dem Viertel, aber auch von weiter weg.
Norbert Weinrowsky spielte selber mehr als 30 Jahre in einer Band, verwirklichte sich mit dem Laden einen Traum. Der Wuppertaler lebt im Briller Viertel. Als das Geschäft leerstand, wusste er, dass es der richtige Ort für sein Geschäft sei. „Die Lage ist optimal. Auf der einen Seite ist das Briller Viertel ein schickes Viertel. Auf der anderen Seite der Ölberg: Dort leben viele Künstler“, erklärt der Gitarrenliebhaber, warum er sich für diesen Standort entschieden hat. „Ich stehe auf Altbauten, ich stehe auf das ganze Viertel. Deswegen habe ich es auch in den Namen aufgenommen.“
Im Stromgitarrenladen verkauft er Exemplare für jedermann. Von der 3000 Euro teuren Gitarre für den Sammler bis zum Einsteigermodell für den Schüler. „Wenn jemand noch Gitarren ungenutzt rumliegen hat, kommt hier hin. Ich kaufe die Sachen ab, dann kriegen die Instrumente nochmal ein zweites Leben“, betont Weinrowsky und greift damit den Nachhaltigkeitsaspekt auf, den auch Karoline Mostert mit dem Viertelflohmarkt verfolgt. Ein Aspekt, der vor allem der jüngeren Generation immer wichtiger wird. Der Generation, die nach und nach den alten Villen im Briller Viertel ein neues Leben einhaucht.