Adventskalender: Wir hier im Quartier Wuppertaler Quartier Rehsiepen: Ein Blick hinter die Vorurteile
Wuppertal · Zehra Akinci und drei Jugendliche erzählen, wie sich das Quartier Rehsiepen selbst gestaltet.
Vor diesem Quartier sollte man sich in Acht nehmen. Hier laufen nur unerzogene, vandalierende Jugendliche rum. Überall liegt Müll, ständig finden Schlägereien statt. Die grauen Bauten erstrecken sich wie eine Betonwüste und es gibt nichts zu sehen. Das sind nur ein paar der Vorurteile, mit denen das Quartier Rehsiepen vorbelastet ist. Rehsiepen gilt als der Brennpunkt Ronsdorfs. „Ja, der Rehsiepen ist ein Brennpunkt“, stellt Quartiersmanagerin Zehra Akinci fest, „aber bitte nur hinsichtlich der Wohnungslage und Familienarmut. Nicht, durch den hohen Anteil an Familien mit Migrationshintergrund.“
Das Quartier entwickelt sich von innen heraus. Jeder bringt sich ein. Jeder packt an. So wie die Helfer, die während des Gesprächs nebenbei Kommoden zum Stadtteiltreff im Mohrhennsfeld bringen und aufbauen. Ohne Gegenleistung, damit der Ort der Zusammenkunft schöner wird. Dadurch sind schon viele erfolgreiche Projekte entstanden: der Kiosk Kommunal, der Girls Club, der Männerclub „Chai & Chill“, ein Kompetenzteam für Frauen und mehr. „Ich habe hier einen Rückzugsort. Jeden Freitag kommt man nach dem ganzen Stress, den man in der Woche hatte, hier in den Girls Club und lernt sogar spielerisch was neues“, freut sich Joude (19) und will sich den Ort nicht mehr wegdenken. Es ist ein Vertrauensraum geworden, an dem offen über Gefühle gesprochen wird und neue Freunde kennengelernt werden. „Wir haben hier nichts, was man wirklich unternehmen kann“ so Joode „aber dafür ist der Girls Club da. Meine Mutter geht auch in den Frauenclub und sie ist davon überzeugt, weil dadurch kommt man in den Kontakt mit anderen und kann seine Sprache verbessern“. Randa (24) ist vor zwei Jahren mit ihrer Familie aus Bonn zugezogen und hat im Rehsiepen eine neue Heimat gefunden: „Als ich hierhergezogen bin hat sich alles verändert. Ich bin hier viel glücklicher. Es hat mein Leben verändert.“
73 Prozent der Familien haben
einen Migrationshintergrund
Das Aufeinandertreffen von vielen Kulturen macht den Rehsiepen aus. Der Anteil an Familien mit Migrationshintergrund liegt bei 73 Prozent. Darunter größtenteils Syrer, aber auch Menschen aus der Türkei, Russland, Polen und mehr. „Viele Freundschaften entstehen hier zwischen unterschiedlichen Kulturen. Man versteht sich, solange man einfach ein netter Mensch ist“, weiß Bewohnerin Ahlam (16). Der Zusammenhalt im Quartier und im Girls Club ist wie eine zweite Familie für die Jugendlichen. „Das Gefühl der Familie entsteht, weil sich jeder kennt und man sich regelmäßig sieht und zusammen an Projekten mitwirkt. Man hat viel mehr Ebenen der Gemeinsamkeit“, weiß Zehra Akinci. So zeigt Randa ihren Freundinnen den traditionellen kurdischen Tanz. Das Klatschen und Springen im Kreis ist gar nicht mal so einfach, macht ihnen aber Spaß. Ein Austausch unter Freunden. Unter Kulturen.
Von außen betrachtet ist das Quartier vielleicht nicht das Schönste. Neben ein bisschen grün reihen sich die gleich aussehenden Mehrfamilienhäuser. Hinter den Fenstern blitzt das Leben hervor. Eine Lichterkette hier, ein Flackern des Fernsehers dort. Die Wohnungen sind immer voll, nur manchmal mit zu wenigen Zimmern auf viele Familienmitglieder. Deswegen ist es so wichtig, einen Ort der Ruhe außerhalb für jeden zu schaffen, betont die Quartiersmanagerin und will da besonders den Jugendanteil von 26 Prozent aufgreifen. Für die Mädchen gibt es das bereits. Die Jungs, die sich selbst „Reyseven“ nennen, wünschen sich aber noch einen Raum für sich. Zum Beispiel einen Boxsack oder Fitnessgeräte, an denen die Wut mal rausgelassen werden kann.
Viele Unternehmungsmöglichkeiten gibt es nicht neben dem Stadtteiltreff. Der arabische Kiosk an der Ecke Oberhoffsfeld / Mohrhennsfeld ist für einen schnellen Einkauf eine wichtige Anlaufstelle und nebenbei der Dreh- und Angelpunkt des Quartiers. Nebenan gibt es Gebetsräume. Zu den Rückzugsorten der Jugendlichen gehören die gestiftete Gartenhütte von Miteinander in Ronsdorf und im Sommer der frisch sanierte Spielplatz mit Seilbahn, Fußballplatz, Basketballplatz und vielem mehr. Eine Sozialraumbegehung ergab, Angsträume gibt es hier nicht mehr.
„Es gibt überall gute und böse Menschen. Man sollte nicht alles, was über den Ort gesagt wird, glauben und es sich stattdessen selbst mal anschauen“, wünscht sich Joude. Verstehen statt direkt zu urteilen. Und auch Zehra Akinci hofft auf mehr positive Präsenz des Ortes: „„Wenn man es schafft, die Menschen zu motivieren, dass sie Beziehungen zu dem Ort aufbauen, in dem sie leben, dann wollen sie auch was für die Stadt tun. Jammern bringt uns nicht voran. Wir sind als Beispiel da, dass es klappt.“ Ihr Motto ist: „Man kann den Blick auf die Defizite und das Negative werfen oder man guckt wo die Ressourcen und Stärken sind und schöpft daraus Energie, um die Defizite zu beheben.“ Der Rehsiepen: für Außenstehende ein kalter, unwillkommener Ort. Doch blickt man über seine Vorurteile hinweg, erkennt man die Fürsorge und das Miteinander der Nachbarschaft, was den Ort zu etwas ganz Besonderem macht.