Was glauben Sie denn? Wuppertaler Kirchenkolumne: „Bnai Brith“ eine jüdische Loge
Wuppertal · Am 13. Oktober 1843 saßen zwölf Männer beisammen in einem Café in der Lower East Side von New York.
Sie waren Auswanderer aus Deutschland, die inzwischen in den USA gut integriert und US-Staatsbürger waren. Diese Männer diskutierten, wie man den vielen jüdischen Einwanderern helfen könne, die in großer Zahl aus Osteuropa kamen und große Schwierigkeiten hatten. Die Neueinwanderer hatten keine Sprachkenntnisse, keine richtige Berufsausbildung und auch oft nur wenig Kenntnisse von ihrem Judentum. So fanden auch nur wenige Anschluss an Jüdische Gemeinden. Am Ende des Tages gründeten diese zwölf Männer die erste jüdische Loge, nach dem Vorbild der Freimaurer-Logen, die einige von ihnen kannten. Sie einigten sich auch gleich auf einen Namen: „Bnai Brith“, das heißt: „Brüder des Bundes“. Sie wählten den Maschinenbauer Henry Jones zu ihrem Präsidenten. Dieser war 1811 als Heinrich Jonas in Hamburg geboren worden.
Freimaurer-Logen gab es schon seit mehr als 100 Jahren. Sie hatten meistens eine humanistische Ausrichtung und waren daher auch für Juden offen. Die Kirchen, die fürchteten an Einfluss zu verlieren, verdächtigten die Logen von Anfang an der Geheimbündelei. Es gab ohnehin in der Bevölkerung eine durch die Kirchen geschürte Judenfeindlichkeit, die während der Zeit der Aufklärung nicht etwa abnahm, sondern durch die Variante des „Antisemitismus“, was ja nichts anderes ist, noch verstärkt wurde. Es gab dann sehr bald „Christliche Logen“, die keine Juden aufnahmen. Doch auch in den humanistisch ausgerichteten Logen erlebten Juden immer wieder Diskriminierungen. Darum gründeten sie jetzt ihre eigene Loge. Jedoch übernahmen sie gern die straffe Organisationsstruktur der Freimaurer und auch die humanistische Ausrichtung, allerdings mit einer jüdischen Interpretation. Das „Salz der Erde“, „Licht für die Völker“ zu sein, dass eines fernen Tages alle Menschen dieser Erde diesen einen Gott als den Einzigen anerkennen, war immer schon ein jüdisches Anliegen. Juden betreiben keine Missionierung. Sie hoffen, dieses Ziel allein durch ihre Haltung und ihr Vorbild zu schaffen und am Ende mit Gottes Hilfe.
Die „Söhne des Bundes“ nannten sich „Brüder“. Sie schlossen jegliche Parteipolitik und Religionsstreitereien kategorisch aus. Ihr Motto war und ist es heute wieder: „Bruderliebe, Wohltätigkeit und Eintracht.“ Zunächst wollten sie den Eingewanderten eine Anlaufstelle bieten. Sie organisierten Sprachkurse, Lehrwerkstätten, bezahlbare Unterkünfte. Sie setzten alles daran, aus diesen durch Verfolgung und Diskriminierung geschundenen Menschen wieder aufrechte und stolze Juden zu machen.
Die Frauen dieser Männer beobachteten die Aktivitäten ihrer Männer mit Interesse, und 1888 gründeten sie dann das weibliche Pendant und nannten sich „Schwestern“. Sie arbeiteten von Anfang an gut mit den Männern zusammen. Die Frauen nahmen sich vor allem der jungen Mädchen an, die oft mit falschen Versprechungen ins Land gelockt wurden und dann in der Prostitution landeten. Die Schwestern sorgten für Krankenhäuser und Kinderheime. Sie besorgten Unterkünfte für die Mädchen und jungen Frauen und boten ihnen Ausbildungen in Hauswirtschaft und Krankenpflege.
Andere Möglichkeiten für Frauen gab es damals noch nicht. Daneben bemühte man sich immer, das Bildungsniveau anzuheben. So gab es immer auch Vorträge zu Wissenschaft und Kunst. Sicher auch zum Erstaunen der Gründer breiteten die jüdischen Logen sich sehr schnell in anderen Städten der USA, in Europa, ja bis nach Australien aus. Viele Logen übernahmen den Namen „Bnai Brith“, andere wählten andere Namen, aber die Organisationsstruktur bewährte sich und man arbeitete gut zusammen. Mit der Zeit baute man repräsentative Häuser mit großen und kleineren Veranstaltungsräumen, die selbstverständlich auch nichtjüdischen Vereinen für ihre Aktivitäten offen standen. Die Beziehungen zwischen Mendelssohn und Lessing waren immer noch ein großes Vorbild.
Man strebte nach menschlicher Vollkommenheit über Parteigrenzen aller Art hinweg, war weltoffen und stellte sich ein Judentum vor, mit dem alle Juden zurechtkommen konnten. Das geriet dann doch eher liberal, mit dem sich die Orthodoxie nicht anfreunden konnte. Im Ersten Weltkrieg waren deutsche Logen-Brüder mit einem eigenen Lazarettzug unterwegs. Sie versorgten alle Verwundeten, trotz steigender Judenfeindlichkeit. Zum Zionismus verhielt man sich lange ablehnend, bis man so ab 1921 das Mandatsgebiet Palästina als Einwanderungsland wahrnahm und zunächst eine Niederlassung in Jerusalem gründete. Als 1933 die Nazis durch demokratische Wahlen die Macht erlangten und sehr schnell die Demokratie abschafften, wurden auch alle Logen verboten, die jüdischen erst recht. 1937 wurden sie enteignet und bis zum letzten Löffel ausgeraubt, es gab natürlich elegante Restaurants in den einzelnen Häusern. Den jüdischen Logen in den von Deutschen besetzten Gebieten erging es ebenso.
Nach dem Krieg kamen nur wenige Juden nach Deutschland zurück. Entsprechend entwickelte sich der Wiederaufbau der Logen sehr verhalten. Gerade wurde in Frankfurt am Main eine Forschungsarbeit zu den vergessenen Bnai-Brith-Logen Frankfurt-Schönstädt und Mannheim vorgestellt. In der Zeitschrift „Jüdisches Europa“ 4/2024 wurde darüber berichtet. Darum bin ich dieser segensreichen Geschichte nachgegangen und hoffe, dass sie auch für Sie, liebe Leser und Leserinnen, interessant ist.