„Jüdisch jetzt!“ Andrea von Treuenfeld stellt in der Wuppertaler Begegnungsstätte ihr neues Buch vor

Wuppertal · Wie sieht das jüdische Lebenin Deutschland heute aus?

Andrea von Treuenfeld

Andrea von Treuenfeld

Foto: Andreas Fischer

Sie ist nicht zum ersten Mal in der Begegnungsstätte zu Gast. Andrea von Treuenfeld stellt an diesem Abend ihr neues Buch vor: „Jüdisch jetzt! Junge Jüdinnen und Juden über ihr Leben in Deutschland“. Darin geht sie der Frage nach, wie das jüdische Leben im heutigen Deutschland wirklich aussieht. „Es leben hier nur 100 000 bis 200 000 Juden“, erzählt sie.

Daher sind die meisten Nichtjuden in Deutschland noch nie – oder zumindest nicht bewusst – einem jüdischen Menschen begegnet. Auch aus diesem Grund halten sich in der nichtjüdischen Mehrheitsgesellschaft oftmals uralte Klischees. Oder undifferenzierte Neuzuschreibungen bestimmen das Bild. Von Treuenfeld geht der Frage nach, wie sich Jüdinnen und Juden hier fühlen, was bedeutet für sie jüdisch sein, wenn man sie selbst danach fragt?

Einige Antworten würden heute wohl anders ausfallen

Bewusst hat sie sich für ihre Recherche bekannte Persönlichkeiten ausgesucht, die im öffentliche Leben stehen. Die Journalistin Lena Gorelik ist dabei, der Musiker und Dirigent Daniel Grossmann, der Musiker Michael Barenboim, die Politikwissenschaftlerin Deborah Hartmann, den Rapper Jonathan Kalmanovich (Ben Salomo) und der Journalist Philipp Peyman Engel. In langen Gesprächen haben sie ihr Einblick in ihre Biografien gewährt. Alle sind Mitte 20 bis Mitte 40 Jahre alt und repräsentieren die dritte Generation. „Nach dem 7. Oktober 2023 würden einige Antworten heute wohl anders ausfallen“, so von Treuenfeld, die anmerkt, dass es auf die Frage „Was ist jüdisch?“ keine eindeutige Antwort gibt. In einem Fließtext gibt sie die Gespräche wieder: „Ein Frage-Antwort-Interview ist langweilig“.

Besonders betroffen machte die Zuhörer die Geschichte von Jonathan Kalmanovich (Ben Salomo), der von täglichen Hass-Mails und Drohungen innerhalb der Rapperszene berichtete. Doch er will sich nicht verstecken und nicht angefeindet werden für etwas, für das man nichts kann. Nicht zugehörig fühlen sich einige, leben zwischen den Welten. „Davon dass „die Liebe der Deutschen zu den Juden eine Obsession ist, die Angst macht“ wird erzählt, davon dass man nicht über seinen Hintergrund wahrgenommen werden will. Es wird von Erschütterung gesprochen, darüber, wie wenig man in Deutschland über Juden weiß. „Ich kann kein Gelb tragen, kaufe keine gestreiften Pyjamas“.

Ihr Judentum verstecken wollen sie nicht, haben alle einen unterschiedlichen Bezug dazu. Der religiöse Aspekt spielt nicht immer eine Rolle. „Mein Judentum war ein Riesending für die Lehrer. Ich stand prototypisch für etwas, für das ich mich nicht entschieden habe“. Musste in manchen Herkunftsländern, besonders des Ostblocks, das Jüdischsein geheim gehalten werden, konnte es in Deutschland gelebt werden. „Opferfamilien wissen, was los war, Täterfamilien nicht. Als Jude muss man sich mit der Geschichte beschäftigen“. Es folgte eine lebhafte Diskussion über die gegenwärtige Situation deutscher Juden. „Jüdischsein ist eine Identität, eine Schicksalsgemeinschaft“.

Von Treuenfeld hat in ihrem Buch die Vielfalt jüdischer Identitäten und jüdischen Lebens in Deutschland sichtbar gemacht mit den Stimmen einer multikulturell geprägten Generation, die – eine ganz neue Selbstverständlichkeit verkörpernd – in ihrer Diversität gesehen werden will.