„nitro space“ Philine Halstenbach beherbergt in ihren Wuppertaler Workshop-Räumen unzählige Schätze

Wuppertal · Gebräuchliches und Kurioses, Dekoratives, Funktionales.

 Philine Halstenbach betreibt das Kunstprojekt „nitro space“.

Philine Halstenbach betreibt das Kunstprojekt „nitro space“.

Foto: KEVIN BERTELT

Die Workshop-Räume von Philine Halstenbach an der Friedrich-Engels-Allee sind knallig, bunt. Hellblau, rosa und lila dominieren, kontrastieren mit dem schwarz-weiß karierten Boden. In ihrem „nitro space“ beherbergt sie unzählige Schätze: Gebräuchliches und Kurioses, Dekoratives, Funktionales. Daraus lassen sich herrliche Miniaturwelten entwickeln.

Die passen in 3D-Darstellung in Schuhkartons oder auf ein Blatt Papier. Diese Fantasiewelten zu entwickeln, machen der 34-jährigen Absolventin eines Kunststudiums sichtbar Freude. Was Philine Halstenbach in die Finger bekommt – ein zerknülltes Stückchen Papier, ein zerschnittenes Etikett oder den Kopf einer Sprühflasche – wird gnadenlos gedreht, gewendet, auf den Kopf gestellt und auf seine ästhetischen Qualitäten hin überprüft. Der „Master of Arts“, Philine Halstenbach, scheint ein Kopfkino zu besitzen, in dem in Sekundenschnelle Materialkombinationen und -kompositionen entstehen, neue kleine Gegenstände und Welten. Sie scheint aus einem schier unerschöpflichen Reservoir an Fantasie und ästhetischer Kombinatorik zu schöpfen, lässt aus scheinbar Unbedeutendem, achtlos Weggeworfenem oder Abgenutztem neue kleine Wirklichkeiten mit einer ungeheuren Liebe zum Detail entstehen.

Kreative Prozesse zulassen, initiieren und weiterzuentwickeln, das ist ihre Leidenschaft, zu der sie auch gerne Menschen im Alter zwischen neun und 100 Jahren anleitet. Auch Kindern, die jünger sind als neun Jahre, ermöglicht Philine Halstenbach, die auch als Dozentin an der Junior Uni arbeitet, kreative Erlebnisse, dann allerdings in Begleitung einer älteren Person.

An das Kunststudium – ausdrücklich nicht auf Lehramt – hat Philine Halstenbach ein weiteres Studium der Fachrichtung „FRO“ drangehängt: Das ist eine Kombination der Fachrichtungen Farbtechnik/Raumgestaltung/Oberflächentechnik. „Ich habe mir beim Studium Zeit gelassen, habe alles ausprobiert, was mich interessiert“ erläutert die Kreative. Seit 2018 hat sie ein Atelier im Ulle-Hees-Haus auf der Friedrich-Engels-Allee, nur einen Steinwurf weit davon hat sie vor knapp einem Jahr das Workshop-Konzept „nitro space“ eröffnet. Philine Halstenbach liebt Wortspiele. Auch mit Sprache verfährt sie kreativ. Wie scheinbar alles in ihrer Umgebung „Spielmaterial“ ist, mit dem der „KreAktive“ nach Herzenslust verfahren und gestalten kann. Der Sprengstoffname „Nitroglycerin“ liefert Wort-Bestandteile für den Workshop „nitro space“, der Künstlername von Philine Halstenbach lautet „nitroglitzerine“ und spielt auf ihre kindliche Begeisterung für alles Glitzernde, Funkelnde, Schimmernde und Schillernde an. Außerdem reime sich „nitroglitzerine“ auf „Philine“, amüsiert sie sich über dieses Wortspiel. „Mir macht es besondere Freude, Erwachsene ans Spielen zu kriegen. Es ist toll zu sehen, wenn sie entdecken, dass ein Detail, ein kleiner Gegenstand mehr ist als der ursprüngliche Zweck. Das ist bei Erwachsenen schwieriger. Zu erreichen, dass dieser Erkenntnisprozess flüssig wird und zu arbeiten beginnt – das ist es, was ich initiieren, unterstützen und intensivieren möchte“, positioniert sich Philine Halstenbach als Initiatorin kreativer Prozesse.

Der Fundus an Material
ist schier grenzenlos

Im Materiallager schimmert und glimmert es aus Hunderten von Phiolen, Töpfchen, Tiegeln, transparenten Kästchen. Wackelaugen glotzen zu Hunderten aus verkorkten Gläsern, die verchromten Spitzen von Kugelschreibern schimmern mit Räderwerken im Mini-Format um die Wette. Kabelabschnitte, bunte Segmente von Schwimmnudeln, halbe oder ganze Pistazienschalen, Figürchen, mystisch anmutende Muscheln oder das schillernde Gewirr von Tausenden von Kunstperlen, die zerschnittene Modeschmuckketten liefern.

Der Fundus an Material – neben Fundsachen aus dem Alltag sammeln auch Unterstützer für sie – ist schier grenzenlos. Dabei herrscht im Materiallager kein Chaos: Alle Einzelstücke sind nach „Produktgruppen“ zusammengefasst und in transparenten, beschrifteten Boxen thematisch sortiert. Die überbordende Vielfalt der Materialien ist gebändigt durch ein nachvollziehbares Ordnungssystem.

Was nicht gefunden wird, wird gemacht – hier liefert die Kreativindustrie Techniken und Geräte, mit denen sich auch winzigste Details stanzen, gießen, formen lassen. Dadaismus, Surrealismus waren die Ursprünge einer Kunstrichtung, die das Absurde und das Fantastische gleichermaßen in den Mittelpunkt der künstlerischen Reflexion rückte. Durch das Zusammenfügen von Elementen aus gänzlich unterschiedlichen Bereichen entstehen neue Realitäten im Mini-Format, die den Erlebnishorizont bis ins Utopische erweitern.

Im Papierschrank, dessen Abteilungen mit farbig abgesetzten Griffen auf den farbigen Inhalt hinweisen, lagern unzählige Folien, zerknittert oder glatt, und Papiere mit und ohne Struktur oder Beschichtung. „nitroglitzerines“ Workshoparbeit sieht vor, dass sich die „KreAktiven“ an ihren Schätzen aus dem Materiallager bedienen, sich eine Auswahl an Materialien zusammenstellen und in ein Körbchen legen, wie in einem Supermarkt. Dann beginnt in der Werkstatt an zwei langen Tischen, von denen Philine Halstenbach behauptet, sie habe sie „gefunden“, die Entwicklung neuer kleiner Welten im Puppenhaus-Format. Skurril, fantasievoll, überraschend und absurd. „Auch einige Stühle habe ich gefunden. Andere sind zu mir gekommen“, beschreibt sie die kreative Entwicklung mit „Fundsachen“ und „vermeintlichem Müll“ in ihrer Arbeitsumgebung.