Freies Netzwerk Kultur Wuppertaler Kulturkolumne: Hin zur Stärkung unserer Demokratie
Wuppertal · Kunst und Kultur als Schmuggelware für Hirn und Herz.
„To expect the unexpectable“, das Unerwartbare erwarten: Diese Worte zum Jazz waren kürzlich bei einem Kammerkonzert der Bamberger Symphoniker zu hören. Musikalisch spannte sich der Bogen virtuos von der Barockmusik hin zum Jazz, ein Crossover im groovigen Zusammenspiel. Angesichts der Stimmungslage unserer Gesellschaft wurde mir das Erlebnis zur Ermutigung. Wir leben inmitten von Polarisierung, Verunsicherung, Unvorhersehbarkeit und Hoffnungslosigkeit – verstärkt durch den Sieg von Trump, dem Ende der Ampel. Klarheit, Rückgrat und Empathie sind gefragt, ein Besinnen auf die Werte unserer Verfassung. „Nie wieder ist jetzt“: Das machte die schmerzhafte Erinnerung an die Reichspogromnacht am vergangenen Samstag, 9. November, spürbar, wie auch die wachsende Unruhe angesichts der Bedrohung durch den sich verschärfenden Antisemitismus. Als Gedenktag an den Mauerfall, vermittelt der 9. November zugleich, welche Kraft aus gemeinsamem Widerstand entstehen und drängende Veränderungen bewirken kann.
Eine „Sternstunde der Demokratie“ hieß es am vergangenen Freitag zum Podium in der Börse, die als Kommunikationszentrum ihr 50-jähriges Jubiläum feierte. Als „lebensweltliche Verankerung von Kunst und Kultur“ spielt die Soziokultur gesellschaftlich eine enorm wichtige Rolle: Sie fördert die dringend notwendige Widerstandskraft, Gemeinschaftlichkeit, Empathie und Resilienz, gerne auch mit Humor, so wie die Mobile Oase als Kollektiv mitten auf der Straße. Soziokultur schafft Räume für Sichtbarkeit, Anerkennung und Interaktion der Menschen, für mehr kulturelle Teilhabe. Deutschlandweit blickt sie nun massiven Kürzungen entgegen. Sie braucht Schutz, vor allem jetzt, wo uns zunehmende Vereinzelung, Hass und Hetze und die damit einhergehende Verrohung aufreiben. Eine ausreichend finanzierte Kultur ist dringlicher denn je. Mögen sich alle anstehenden Haushaltsentscheidungen in Kommunen, Ländern und Bund darauf besinnen.
Die für Demokratiepolitik engagierte Paulina Fröhlich vom Progressiven Zentrum erzählte von einer Begegnung mit dem Schriftsteller Ilija Trojanow, der von „Kunst als Schmuggelware“ sprach, die „wichtige und komplexe Themen am potenziellen Desinteresse des Menschen vorbeischmuggele, mitten in Hirn und Herz“. Für die aktuell nicht ausreichende Wertschätzung der Potenziale der Kultur passt das Bild „Schmuggelware“ gut. Auch Appelle für mehr „Radikale Höflichkeit“, „Awareness“ oder auch Jagoda Marinićs Ruf nach „Sanfter Radikalität“ greifen hier: Sie ermöglichen ein Aushandeln und ein Miteinander, eine Kultur, die sich deutschlandweit für gelebte Vielfalt und Demokratie einsetzt.
„Lass Deine Phantasie arbeiten, die Realität passt sich an“, so die Worte eines Kulturschaffenden, die die Leiterin des Fonds Soziokultur Mechthild Eickhoff einbrachte. Der Fonds fördert kulturelle Vielfalt und schafft damit Zukunft. In unseren verhärteten Zeiten brauchen wir strukturelle Veränderungen, Räume für Vorstellungskraft und viel Offenheit füreinander. Eigene Aushandlungsprozesse sichtbar zu machen, die direkt ins Hirn und Herz wandern, erfordert Mut und Gestaltungslust: Die Lesung aus dem Buch „Wolfgang fällt um“ von Musiker Wolfgang Suchner und Hans Werner Otto lädt morgen, am 14. November, auf die Insel ein. Wie gestaltet sich für einen freischaffenden Künstler der Umgang mit der Tabu-Krankheit Epilepsie? Welche aufreibenden Herausforderungen tauchen auf? Wie sieht ein „We will be together again“ aus? So heißt übrigens ein Jazzstandard, der als Zugabe erwähntes Kammerkonzert krönte. Feedback an: