Alternatives Brauchtum: Auf die Stöckel, fertig, los!
Der Karneval wird immer offener und bunter. So ist der „Tuntenlauf“ auf der Kö inzwischen Kult geworden. Die Stunksitzung dagegen hat an Pepp verloren.
<strong>Düsseldorf. Der Karneval ist für viele "die schönste Zeit des Jahres". Doch für manchen sind die "tollen Tage" vor der christlichen Fastenzeit nicht nur der "Abschied vom Fleisch" ("Karneval" von italienisch "carne levare" für "Fleischwegnahme"), sondern auch der Abschied vom guten Geschmack. Doch dem Karneval zu entkommen oder ihm wenigstens eins auszuwischen, scheint schwieriger geworden zu sein. Einst als Gegenveranstaltungen gestartete Bräuche sind inzwischen selbst etabliert. Haben sie ihre Schlagkraft verloren oder eher den Karneval verändert? "Die Revolution ist wie Saturn, sie frisst ihre eigenen Kinder", heißt es in Georg Büchners Drama "Dantons Tod". Der Karneval ist da offenbar keine Ausnahme; "Revolutionäre" scheinen auch bei ihm auf der Strecke zu bleiben. "Die Stunksitzung, die seit den 80er Jahren neue Themen setzte und frecher war als der traditionelle Karneval, ist für manchen inzwischen kaum noch zu unterscheiden vom klassischen Sitzungskarneval", sagt Alois Döring, der Brauchtums-Experte vom Amt für rheinische Landeskunde in Bonn.
Der Straßenkarneval wird nach Expertenmeinung immer wichtiger
Bleibt die Frage, wer sich wem anpasste, zumal der Stunk-Erfinder Jürgen Becker mittlerweile auch Gast bei ganz normalen TV-Sitzungen ist. Der Experte vom Landschaftsverband Rheinland (LVR) hat beobachtet, dass der Straßenkarneval im Gegensatz zum Sitzungskarneval immer wichtiger werde und Fans gewinne. Wer sich davon überzeugen möchte, schaue sich am Sonntag Abend einmal auf der Düsseldorfer Königsallee um. "Der organisierte rheinische Karneval mit seinen eher konservativen Strippenziehern ist in den letzten Jahren durch alternative und schräge Veranstaltungen cooler geworden", sagt die Sprecherin des Düsseldorfer "Tuntenlaufs", Yvonne Hochtritt. Dieser von Teneriffa auf die Königsallee importierte Brauch findet 2007 bereits zum zwölften Mal statt. Tausende Schaulustige feuern dabei am Karnevalssamstag Männer in engem Fummel und hochhackigen Pumps an, die mehr oder weniger schnell über die Düsseldorfer Prachtmeile rennen. Eine Jury entscheidet, wer die beste Figur macht.15 000 schauen den Tunten beim Stöckeln über die Königsallee zu
Der Erlös der Kult-Veranstaltung, die offiziell vom "Comitee Düsseldorfer Carneval" veranstaltet wird, geht an die Aids-Hilfe. Im vergangenen Jahr säumten 15 000 Schaulustige den Laufsteg zwischen Bahn- und Grünstraße.
Der "Tuntenlauf" habe es geschafft, Leute für den Karneval zu aktivieren, die ihn früher nie gefeiert hätten, sagt Hochtritt. Der Karneval werde offener und bunter - man denke nur an die "Rosa Sitzung" von Schwulen und Lesben in Köln. Auch wenn gerade die in diesem Jahr ausfällt, gibt es in vielen Städten neben dem traditionell-organisierten Frohsinn alternativen "Off-Karneval".
Irokesen-Heinz: Mitbegründer ist der Kabarettist Jürgen Becker, der bis zu seinem Ausscheiden 1995 als "Irokesen-Heinz" die Rolle des Sitzungspräsidenten übernahm. Becker moderiert mittlerweile die Mitternachtsspitzen im WDR-Fernsehen und wird sogar auf traditionellen Karnevalssitzungen gesichtet.