Karneval: Ein Mann, ein Narr, ein Zug

Seit 50 Jahren zieht Helmut Scherer einsam mit einem Bollerwagen durch Unna.

Unna. Erhard Kaiser hat sich viel Mühe gemacht, seine Karnevals-Gäste gebührend zu begrüßen. In kleine Reagenzgläser hat der Unnaer Apotheker Doppelkorn gefüllt, mit einem Korken verschlossen und lustige Etiketten drauf geklebt. Jeden Moment erwartet er an diesem Weiberfastnachtsvormittag den "kleinsten Karnevalszug der Welt" an seiner Apotheke in der Innenstadt von Unna. Wenig später ist es soweit: Der 72-jährige Helmut Scherer, seit 50 Jahren Prinz, Dreigestirn und kleinster Zug in einer Person, macht auf seinem Weg zum Rathaus Station bei Kaiser.

Wie in den Vorjahren hat Scherer seinen Ein-Mann-Umzug an Weiberfastnacht in der eher karnevalsunlustigen Stadt monatelang geplant und vorbereitet. Im Mittelpunkt: der aufwändig geschmückte Handwagen, sein Markenzeichen. In diesem Jahr nimmt er die Mehrwertsteuererhöhung aufs Korn.

"Getrennt marschieren, geeint kassieren" lautet das Motto, das auf einem zwei Meter langen Banner über einer auf Pressholz gemalten Kuh "mit Geldeuter" in Lebensgröße prangt. "Die magere Kuh steht für den Bürger, der gemolken wird", erklärt Scherer. Scherer zieht winkend den Wagen - als Kuhhirte verkleidet mit großem Hut und weißer Lederfellweste mit braunen Flecken, die Füße in zwei quietschgelben Gummistiefeln.

Stimmung und Wetter sind gut an diesem Morgen. Allein muss der anfangs verspottete Exot schon lange nicht mehr durch die Stadt ziehen. Er wird begleitet von mehreren Dutzend Fans. Seit drei Jahren sind etwa Mitglieder des Gesangvereins "Sangeslust" aus Unna-Lünern dabei. "Es macht einfach Spaß, die Leute zu animieren", sagt dessen Vorsitzender Wolfgang Reinhardt. Auch vom "Helmut-Scherer-Freundeskreis" sind zwei Mitglieder gekommen. "Er ist, wie er ist. Er lässt sich nicht unterkriegen", sagt Claas Brockmeyer.

Elf Stationen zählt der Zugweg. Aus einem kleinen Musikwagen dröhnen laute Karnevalslieder. Hier ein Schnäpschen, dort ein Sekt: Verdursten muss niemand. Ein Höhepunkt: der Halt in einer mit bunten Girlanden und Luftballons geschmückten Bankfiliale. Ein Blasorchester aus Fröndenberg heizt der inzwischen auf über 100 Personen angewachsenen Schar kräftig ein. Der Filialleiter begrüßt die Karnevalisten, Angestellte verteilen Fettgebackenes und Getränke. Ein dreifaches "Unna Helau" erschallt, und dann wird geschunkelt und getanzt. Nach zwanzig Minuten geht es weiter. Das Rathaus will pünktlich gestürmt sein.

Mit einer Mischung aus Skepsis und Begeisterung wird der Tross auch in diesem Jahr von den Passanten beobachtet. "Es ist Reklame für Unna", sagt der 80-jährige Karl-Heinz Porrmann, der sich seit acht Jahren den Umzug anschaut. "Viele lachen über Helmut Scherer, aber er bringt was. Die Stimmung ist gut", meint er. "Das Besondere ist seine unglaubliche Art, Menschen mitzureißen und zu begeistern", sagt Dagmar Kayser-Passmann. Seit 30 Jahren begleitet die Steuerberaterin Scherer schon. "Helmut hat seinen Humor nie verloren. Dabei war er vom Leben weiß Gott nicht begünstigt. Er hat immer das Beste daraus gemacht."

Scherer wuchs in einem Kloster-Internat in Paderborn auf. 1956 kam er nach Unna. Weiberfastnacht 1957 ging er das erste Mal allein auf die Straße mit einer Tröte im Mund und vor sich einen Kinderpuppenwagen mit einer Puppe darin. Trotz manchen Spotts hielt Scherer durch. Das Interesse wuchs im Laufe der Jahre. Auch außerhalb von Unna wurde man auf den kauzigen Karnevalisten aufmerksam. Seit 1963 lief er an Rosenmontag in Münster oder Dortmund mit. Ein paar Jahre lang sogar in der "Karnevalshochburg" Düsseldorf. In diesem Jahr überschreitet Scherer die Landesgrenze: Er wird beim großen Rosenmontagszug im hessischen Seligenstadt mitlaufen - vor dann über 50 000 Zuschauern.

In der Bürgerhalle des Rathauses erreicht der Umzug derweil seinen Höhepunkt mit der Verleihung von Orden an drei von ihm allein ausgewählte Ordensritter. Eine der Geehrten ist Elfie Blees, die 2006 den "längsten Fußballschal der Welt" stricken ließ. "Scherer ist ein sehr geradliniger Mensch. Man unterschätzt ihn gerne", sagt sie und geht zur Bühne, um den Orden entgegenzunehmen.