Blauäugig in die Sonne

Immer mehr Auswanderer stranden als Sozialfälle oder Obdachlose im Urlaubsparadies.

Palma de Mallorca. Kerzenlicht wirft Schatten auf die Höhlenwände, ein Zelt dient als Schlafzimmer, ein alter Camping-Gaskocher ersetzt die Küche. Hans und Lothar, zwei Deutsche, beide um die 40, leben seit einigen Monaten in einem Felsloch, nicht weit von Mallorcas Touristenstrand Playa de Palma.

Moderne Höhlenbewohner auf Mallorca. Weniger weil sie diese Unterkunft romantisch finden, sondern weil sie weder Wohnung noch feste Arbeit haben. "Vorher haben wir im Wald geschlafen." Zwei germanische Auswanderer, deren Traum vom besseren Leben und einer neuen Existenz unter der spanischen Sonne auf der Straße endete. In der Nachbarschaft hausen weitere gestrauchelte Glücksritter aus nördlichen EU-Ländern, die Schiffbruch erlitten.

Mehrere tausend europäische Ausländer, schätzen Experten, leben auf der Mittelmeerinsel in Armut. Dutzende Fälle gescheiterter Existenzen stapeln sich auf dem Schreibtisch des deutschen Konsuls Wolfgang Wiesner in der Inselhauptstadt Palma. "Manche Auswanderer kommen völlig blauäugig nach Mallorca", berichtet der deutsche Statthalter, der sich zuweilen mehr als Sozialarbeiter denn als Diplomat fühlt.

Aussteiger mittleren Alters, deren hochfliegende Pläne im Urlaubsreich Mallorca nicht aufgingen. Und immer mehr Alte, die hier ihren Ruhestand verbringen wollten und mangels ausreichender Rente und Pflegeabsicherung in die Armut rutschen.

Rund 500 solcher "Sozialfälle" klopften dieses Jahr an die Tür des Konsulates, Mallorca-Außenstelle der deutschen Botschaft in Madrid. Die Spitze des Eisberges des Auswanderer-Elends. Wiesner geht von einer "hohen Dunkelziffer" aus. "Viele scheuen sich, um Hilfe zu bitten." Wie etwa jenes kränkelnde Seniorenpaar, das nicht mehr klar kam, zu verwahrlosen drohte - bis die Gemeindeverwaltung das Konsulat alarmierte. "Wir versuchen zu helfen", berichtet Wiesner. "Auch wenn wir nicht immer alle Probleme lösen können."

Die Diplomaten bemühen sich um Beratung, versuchen bürokratische Hürden aus dem Weg zu räumen, Familienangehörige in der Heimat ausfindig zu machen. Oder, mit Hilfe des auf Mallorca sozial engagierten "Lions Club", auch mal ein Rückflugticket zu besorgen. Der Wohltäter-Club rief zudem einen Pflegedienst für bedürftige Alte ins Leben - als "Feuerwehr", die in Notfällen tätig wird.

Dem anfänglichen Glücksrausch auf der Insel folgt nicht selten ein schmerzhaftes Erwachen. "Die Altersarmut unter ausländischen Residenten nimmt zu", beobachtet Rudi Pollhammer, Präsident des Deutschen Sozial- und Kulturvereins, der ebenfalls Gestrandeten unter die Arme greift. Senioren, die vor 20 Jahren ins Paradies zogen, kommen ins kritische Alter. "Die haben zunächst ihr Leben genossen, nun fängt es überall an zu zwicken - dann beginnen die Probleme." Oft könnten sie die spanische Sprache nicht, hätten sich nie integriert und dachten, dass ihnen in Spanien vom Staat genauso geholfen wird wie in der Heimat. "Das ist aber nicht so - und so landen die Leute bei uns."

Auswanderungswilligen empfiehlt Pollhammer, nichts zu überstürzen. Viele jüngere Sozialfälle seien auf Mallorca gestrandet, weil sie schon vor Problemen in der Heimat geflüchtet waren. "Die kommen zum Urlaub, sehen den blauen Himmel, die Sonne, sitzen beim Bier und vergessen dabei, dass auf Mallorca niemand auf sie wartet."