Schweinegrippe: Zwischen Hysterie und Ignoranz

Erst löste die Schweinegrippe Panik aus, jetzt lassen sich nur die wenigsten impfen. Dabei geben die Experten keine Entwarnung.

Düsseldorf. Die ersten Meldungen aus Mexiko lösten im April dieses Jahres weltweit Angst und Verunsicherung aus: Eine neue Variante des Grippevirus A/H1N1 war in dem mittelamerikanischen Land nachgewiesen worden. Tausende Menschen infizierten sich, Dutzende starben. Und es dauerte nur wenige Tage, da hatte die Schweinegrippe, auch Neue Grippe genannt, Europa und damit auch Deutschland erreicht.

Heute dagegen, zum Ende des Jahres, ist die Hysterie gewichen. Die Krankheit verläuft weiterhin in den meisten Fällen mild. Und es herrscht Impfmüdigkeit - die Bundesländer bleiben auf dem massenhaft gekauften Impfstoff sitzen. Also alles in allem viel Lärm um nichts?

Wahrscheinlich liegt die Wahrheit wie so oft in der Mitte. Die anfängliche Panik wurde durch die große Unsicherheit ausgelöst, welches Potenzial das neue Virus hat - gefördert auch durch die Horrorszenarien von Virus-Pandemien in Hollywood-Spielfilmen. Die nun eingetretene Unbekümmertheit im Umgang mit der Schweinegrippe löst bei Experten allerdings Sorge aus.

Denn die Neue Grippe ist nicht nur zeitlich deutlich früher, sondern auch weitaus massiver aufgetreten als die saisonale Grippe (siehe Grafik). Bis Anfang Dezember wurden etwa 200 000 Fälle der Schweinegrippe registriert. Hinzu kommt eine unbekannte Zahl nicht gemeldeter Fälle. Mehr als 100 Menschen starben bislang an dem Virus. Und das zu einem Zeitpunkt, an dem die saisonale Grippe noch gar nicht aufgetreten war.

Auch werden vor allem Kinder und junge Menschen mit dem Virus infiziert. Es gibt erste Erklärungsansätze, warum dies so ist. So könnte das A/H1N1-Virus mit dem verwandt sein, das die spanische Grippe auslöste. In der Folge hätten dann ältere Menschen eine Art Grundimmunisierung. Andererseits steigt das Risiko, an der Schweinegrippe zu sterben, mit zunehmendem Alter.

Niemand kann derzeit sicher sagen, wie sich die Schweinegrippe weiter entwickelt. Zwar verringerte sich im Dezember die Zahl der Neuinfektionen. Allerdings schließt das Robert Koch-Institut nicht aus, dass Anfang des neuen Jahres eine zweite Welle über Deutschland schwappt. Experten warnen zugleich davor, dass sich das Virus verändern könnte - und dann Resistenzen gegen die vorhandenen antiviralen Medikamente entwickelt.

Obwohl die Experten weiterhin keine Entwarnung bei der Schweinegrippe geben, ist die Impfbereitschaft gering. Bis Dezember ließen sich etwa sechs Millionen Bundesbürger immunisieren. Die Verunsicherung über das Virus ist durch die Verunsicherung über den Impfstoff überlagert worden - beziehungsweise über die Wirkstoffverstärker, die angeblich schwere Nebenwirkungen auslösen.

Nach ersten Erfahrungen mit dem Impfstoff Pandemrix kann das Paul Ehrlich-Institut dies allerdings nicht bestätigen. Es sei so gekommen, wie vermutet: Nebenwirkungen, die bei der Impfung gegen die saisonale Grippe bekannt sind, träten bei Pandemrix zwar häufiger und stärker auf. Dazu gehörten Schmerzen im Oberarm, Fieber, Schüttelfrost. Schwerwiegende Nebenwirkungen wie heftige allergische Reaktionen wurden den Angaben zufolge auch registriert, aber nicht in auffälligem Ausmaß.

Was aber kann man aus der Diskussion über die Schweinegrippe lernen? Für eine abschließende Bilanz ist es acht Monate nach Auftauchen des Virus sicherlich zu früh - zumal keiner weiß, ob wir das Ende der Pandemie erreicht haben oder noch mitten in ihr stecken. Dennoch hat bei Politikern und Experten die Diskussion über Konsequenzen aus dem bisherigen Umgang mit der Pandemie eingesetzt.

Da sind vor allem Kommunikation und Information. Erst kürzlich kritisierte ein Ärztefunktionär "klare Pannen" bei der Impfaktion. Verunsichert wegen unterschiedlicher Angaben zum Impfstoff wurden insbesondere Schwangere. Dass für Bundeswehr und Bundesbeamte ein anderer Impfstoff bestellt wurde als für den Rest der Bevölkerung, trug zusätzlich zur Verunsicherung bei.

Im Bundesgesundheitsministerium heißt es, dass man nach der Akutphase der Pandemie eine Gesamtbewertung über die Impfaktion vornehmen und daraus notwendige Konsequenzen ziehen wolle. Einigen Gesetzmäßigkeiten wird sich jeder Staat aber auch bei einer neuen Pandemie unterwerfen müssen.

Bei jedem neuen Virus wird die Unsicherheit herrschen, welche Gefahren es wirklich birgt. Und es gibt bislang nur eine Handvoll Pharmakonzerne, die überhaupt in der Lage sind, Impfstoff herzustellen. Zu der Marktverknappung kommt der Zeitdruck: Die Herstellung eines Impfstoffes dauert vier bis fünf Monate.

Sicher sind sich die Experten allerdings in einem: Dass das Schweinegrippe-Virus nicht so plötzlich verschwinden wird, wie es aufgetaucht ist. Schon gibt es Überlegungen, ob es künftig einen Kombi-Impfstoff gegen saisonale und Schweinegrippe geben könnte. Im kommenden Jahr wird die WHO die Daten zur Schweinegrippe auswerten und dann eine Empfehlung abgeben.