Angela Merkels Strickmuster-Politik
CDU-Parteitag: Die Rede der Kanzlerin entspricht exakt dem neuen CDU-Programm: zwei rechts, zwei links – und nur nicht zu genau werden. Einmal in Fahrt, bekommt nun auch der Lieblingsgegner aller Christdemokraten, Gerhard Schröder, sein Fett weg.
<strong>Hannover. Es ist schon erstaunlich, dass man Angela Merkel immer wieder in die Falle geht - und sie unterschätzt. Als sie auf dem CDU-Parteitag in Hannover ihre Grundsatzrede zum Grundsatzprogramm hält, ist der Zuhörer schon nach kurzer Zeit grundsätzlich genervt. Er erfährt, dass das Land "Lösungen für die Zukunft" braucht, dass unser Land ohne die Union nicht da wäre, "wo es ist", aber dass man sich auf diesen Lorbeeren nun "nicht ausruhen" dürfe. Schnell hört man auf zu registrieren, wie oft Merkel "Globalisierung" sagt oder "Herausforderung" oder "Gerechtigkeit". Es ist wie Schäfchenzählen: Irgendwann schläft man ein - und schreckt nach kurzer Zeit mit einer bohrenden Frage auf.
Plötzlich folgt die Abrechnung mit den "Nieten in Nadelstreifen"
Warum gehört die Kanzlerin und CDU-Vorsitzende zu den beliebtesten Politikern Deutschlands? Ihre Semantik führt geradewegs in den sprachlichen Morast, in dem die zahlreichen inhaltlichen Unschärfen so schnell versinken, dass es schon fast eine Gnade ist. Ihre Gesten wirken, als gäbe sie Vollgas bei angezogener Handbremse. Ihre Mimik kennt nur zwei Zustände: Manchmal hängen je 500-, manchmal je 1000-Gramm-Gewichte an ihren Mundwinkeln. Warum nur ist diese Frau so erfolgreich? Der Widerspruch löst sich nach tatsächlich zehn, gefühlten zwanzig Minuten ihrer Rede auf: Da folgt nämlich recht unvermittelt eine Generalabrechnung mit den Nieten in Nadelstreifen in den Vorstandsetagen vieler Unternehmen: "Warum wird mit Geld überschüttet, wer auf ganzer Linie versagt?", ruft Merkel ins Plenum und schließt mit rhetorischen Fragen an: "Liebe Aufsichtsräte, glauben Sie, Ihre Mitarbeiter lesen keine Zeitung? Glauben Sie, Ihre Mitarbeiter beherrschen nicht die Grundrechenarten?" Da brandet Applaus auf. Das ist der Ton, der begeistert. Es scheint, als habe Merkel die rund 1000 Delegierten zunächst bewusst eingelullt, um diesen ersten Höhepunkt besser zur Geltung zu bringen."Demokratischer Sozialismus - das ist ein Widerspruch in sich."
Einmal in Fahrt, bekommt nun auch der Lieblingsgegner aller Christdemokraten, Gerhard Schröder, sein Fett weg. Nicht ohne Häme erinnert Merkel daran, dass sich die SPD unter Schröder vor einem Jahrzehnt auf den Weg in die "Neue Mitte" gemacht habe. "Vielleicht wollten sie damit sagen, dass die Mitte für sie ein neuer Ort ist, an dem sie nicht wirklich zu Hause sind." Jedenfalls habe die SPD sich von dieser Mitte endgültig verabschiedet, weil sie in ihrem Grundsatzprogramm weiter am "Demokratischen Sozialismus" festhalte. "Uns Christdemokraten fehlt dafür jedes Verständnis!"Natürlich ist Merkels Empörung gespielt. In Wahrheit ist die Union ganz froh, wenn sie die Mitte wieder allein besetzen kann, sieht man von der FDP ab. Merkels Rede folgt darum wie auch das Grundsatzprogramm selbst dem Strickmuster "zwei rechts, zwei links", auch wenn der Stoff des neuen Kleids, das da entsteht, auf der rechten Seite ziemlich dünn und durchsichtig ist.
Die Beschlüsse von Leipzig sind Merkel nur noch zwei kurze Erwähnungen wert. Pflichtgemäß sagt sie, dass die CDU ein einfacheres Steuerrecht mit niedrigeren Sätzen wolle. Wann, was, wie genau? Schweigen im Walde. Außerdem solle der Kündigungsschutz gelockert werden. Aber auch das führt sie lieber nicht genauer aus. Wahlen, das weiß sie, kann sie mit solch kalten Reformen nicht gewinnen. So wird aus "Leipzig" nicht nur "Leipzig light", sondern "Leipzig zero" - eine Nullnummer.
Das weniger oft mehr ist, zeigt das Motto des CDU-Parteitages, das schlicht lautet: "Die Mitte." Die Mitte ist antiradikal. Mitte bedeutet Wärme, Sicherheit, Pragmatismus. Der mittlere Weg ist meist der Königsweg: Wer ihn beschreitet, der hält an Bewährtem fest, ohne sich Neuem zu verschließen. Es handelt sich daher um ein vernünftiges Motto, und um ein taktisch kluges dazu. Denn die SPD hat die von Gerhard Schröder einst entdeckte "Neue Mitte" aufgegeben und dadurch Platz für die bürgerlichen Parteien geschaffen, um Mehrheiten zu gewinnen. Das allerdings kann nur gelingen mit programmatischer Substanz - und genau an der mangelt es der Kanzlerin-Partei.
Anderthalb Jahre hat die CDU über ihr neues Grundsatzprogramm diskutiert. Herausgekommen ist eine große Wundertüte, in der jeder alles finden kann und sich darum allzu leicht im Nichts verliert. Die Rede der Parteichefin war dafür symptomatisch. Wenn es grundsätzlich wurde, profilierte sie die CDU scharf rechts von der linken Volkspartei SPD. Diese propagiere den Sozialismus, und der ende immer totalitär, rief Merkel - und manch einer fragte sich, wie die CDU als Partei der Mitte eigentlich eine Koalition mit einem nach Merkels Lesart gefährlichen, zum Totalitarismus neigenden Partner eingehen konnte. Wenn es jedoch konkret wurde, dann verwischte sie bewusst die Unterschiede zur SPD: Sie verteidigte den Post-Mindestlohn und stellte gierige Manager an den Pranger.
Rechts blinken und links abbiegen: Das ist kein Kurs der Mitte. Natürlich ist ein Grundsatz- kein Regierungsprogramm. Aber von einer Parteichefin, die zugleich Kanzlerin ist, hätte man schon gerne erfahren, ob sie einen Masterplan für die verbleibende Zeit bis zur nächsten Bundestagswahl hat. Für die erste Halbzeit hatte sie einen solchen umfassenden Plan jedenfalls nicht. Das bisherige Rauf und Runter bei den Lohnnebenkosten etwa war nicht links, nicht Mitte und nicht rechts, sondern nur ein Ausdruck politischer Beliebigkeit.
Damit sich das ändert, muss die CDU ihrer Mitte ein M-Wort hinzufügen: Mut. Dass die Beschlüsse des Leipziger Parteitags von 2003 nur noch verschämt Erwähnung fanden, stimmt pessimistisch. Es fehlt ein Friedrich Merz. Doch der hat sich ja ab durch die Mitte gemacht.