Atomstreit: Geheimdienste bringen Bush in Erklärungsnot

Die Opposition fordert von der US-Regierung einen Kurswechsel in der Iran-Politik.

Washington. Im Oktober hieß es im Weißen Haus, die angeblich vom Iran ausgehende atomare Bedrohung könnte "zum Dritten Weltkrieg führen." Nun aber hat US-Präsident George W. Bush im Tauziehen um eine Kursverschärfung gegenüber der iranischen Regierung eine schwere Schlappe erlitten. Grund ist der amerikanische Geheimdienstbericht, wonach Teheran bereits vor vier Jahren Pläne zur Entwicklung eines nuklearen Arsenals auf Eis gelegt hat.

Die Internationale Atomenergiebehörde IAEA sieht sich durch den Geheimdienstbericht in ihren eigenen Untersuchungsergebnissen bestätigt. Die Einschätzung stimme mit Erkenntnissen der IAEA überein, wonach es "keine konkreten Beweise gibt, dass der Iran ein Atomwaffenprogramm hat oder heimliche Atomanlagen unterhält", sagte der Generaldirektor Mohammed el Baradei gestern.

Obwohl es nun schwierig sein dürfte, eine dritte Runde von Sanktionen im Sicherheitsrat der Vereinten Nationen durchzusetzen, bleibt das Weiße Haus dennoch bei seiner Position: "Der Iran war gefährlich, ist gefährlich und wird gefährlich sein, wenn er das Wissen zum Bau von Nuklearwaffen hat", betonte Bush.

In den USA läuft angesichts der neuen Erkenntnisse des National Intelligence Estimate (NIE), eines jährlich erscheinenden Geheimdienstberichts, die Debatte, ob das Weiße Haus gegenüber Teheran deutlich leiser treten sollte. Harry Reid, demokratischer Fraktionschef im US-Senat, fällt die Antwort leicht: "Der Präsident hat eine künstliche und unnötige Drohkulisse aufgebaut, um den eigenen militärischen Aktionismus zu rechtfertigen."

Präsidentschaftskandidat Joseph Biden geht einen Schritt weiter und zieht eine Parallele zu jenen "Lügen", die im Vorfeld der US-Invasion im Irak als Argumente angeführt wurden. Unter anderem hatte Bush vor der Bombardierung Bagdads behauptet, dass Saddams Erwerb kernwaffenfähigen Urans als Beweis für dessen Arsenal an Massenvernichtungswaffen diene. Dies wurde später vom Ex-Botschafter in Bagdad widerlegt. "Ähnliche Märchen werden seit Jahren über Ahmadinedschad verbreitet", sagt Biden. "Auf solchen Fiktionen dürfen wir keine Außenpolitik aufbauen."

Unfehlbar sind Geheimdienste offenbar nicht. Schließlich sind dieselben Experten, die noch vor zwei Jahren überzeugt waren, dass der Iran "fest entschlossen" sei, sich Atomwaffen anzueignen, nun zu der Einsicht gelangt, dass man in Wirklichkeit gar nicht weiß, wie es um das Nuklearprogramm bestellt ist. Als fatal hatte sich hingegen vor vier Jahren jene Fehleinschätzung derselben Behörden herausgestellt, die Saddam Hussein unterstellten, über Massenvernichtungswaffen zu verfügen. Ohne diese als Realität unterstellte Fiktion wäre es Präsident Bush schwergefallen, den Irak-Krieg zu rechtfertigen. Aus diesem Fehler kann aber gelernt werden. Eine amerikanische Kurskorrektur gegenüber Teheran wäre nun angemessen, ohne aber Mahmud Ahmadinedschad, der weiterhin unberechenbar bleibt, zu unterschätzen.