Bombendrohung: Gül-Rede in Berlin abgesagt
Berlin (dpa) - Eine Bombendrohung hat das Programm des türkischen Präsidenten Abdullah Gül am ersten Tag seines Staatsbesuches in Deutschland durcheinander gebracht. Unmittelbar vor einer geplanten Rede des Staatschefs in der Humboldt-Universität ließ die Polizei den Saal räumen.
Später hielt Gül seine Ansprache in einem anderen Raum. Bei einem Staatsbankett im Schloss Bellevue bedauerte Bundespräsident Christian Wulff am Montagabend die Unannehmlichkeiten. Gül selbst ging nicht näher auf den Zwischenfall ein, betonte aber: „Wir haben wirklich eine außerordentliche Beziehung zwischen unseren Ländern.“
Zum Auftakt seines Besuches kritisierte Gül die deutsche Visapflicht für Türken und das Einwandererrecht. Die Visapflicht etwa für türkische Geschäftsleute nannte er ein Hindernis für den Ausbau der Wirtschaftsbeziehungen. Wulff sprach sich für Erleichterungen aus. Die Bundesregierung sollte Verbesserungsmöglichkeiten prüfen und umsetzen, sagte Wulff beim Deutsch-Türkischen Handelsforum 2011 in Berlin. Deutschland wolle die Nummer Eins im Handel mit der Türkei bleiben.
Bundesfinanzminister Wolfgang Schäuble (CDU) und sein türkischer Amtskollege Mehmet Simsek unterzeichneten im Beisein der beiden Staatsoberhäupter ein neues Doppelbesteuerungsabkommen. Dies sei ein weiterer wichtiger Schritt für verlässliche, berechenbare Rahmenbedingungen, sagte Wulff.
Auf dem Bankett erinnerte Wulff am Abend an den 50. Jahrestag des Anwerbeabkommens zwischen Deutschland und der Türkei. Unzählige Menschen aus der Türkei seien seitdem „mit Fleiß und Talent“ nach Deutschland gekommen. „Wir sind froh darüber, denn sie bereichern unser Land und die Beziehungen zwischen unseren Ländern.“ Der friedvolle Dialog zwischen Menschen unterschiedlicher Weltanschauungen sei besonders wichtig. „Je mehr wir übereinander wissen, umso weniger erliegen wir Vorurteilen.“
Auf wenig Gegenliebe stieß Gül mit seiner Forderung, das 2007 verschärfte deutsche Einwanderungsrecht zu ändern. Insbesondere wendet sich die Türkei gegen die Regelung, wonach künftige Ehepartner aus der Türkei vor ihrer Einreise deutsche Sprachkenntnisse nachweisen müssen. Für die Bundesregierung sagte Staatsministerin Maria Böhmer, die Kritik entbehre jeder Grundlage. „Deutschkurse sind von unmittelbarem Nutzen für die Zuwanderer“, sagte sie. Auch Wulff sagte, insbesondere türkische Frauen dürften wegen mangelnder Sprachkenntnisse „nicht in einer Parallelgesellschaft verharren.“
Der türkische Präsident bekräftigte auch den Wunsch nach einem EU-Beitritt seines Landes. „Von diesem strategischen Ziel werden wir nicht abrücken“, sagte Gül auf einer gemeinsamen Pressekonferenz mit Wulff in Berlin. Die Formulierung „strategische Partnerschaft“, die Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) der Türkei angeboten hat, lehnte Gül ab. Die Türkei müsse die Chance erhalten, die ins Stocken geratenen Verhandlungen mit der EU erfolgreich abzuschließen. Danach müssten die Mitgliedsländer und auch das türkische Volk entscheiden.
Wulff sprach von „fairen und ergebnisoffenen Beitrittsverhandlungen“. Deutschland habe hier eher eine Vermittlerrolle und sei nicht besonders kritisch gegenüber dem türkischen EU-Beitritt. „Die Türkei muss sich anstrengen, Europa aber auch“, sagte Wulff. Er hob die gewachsene internationale Verantwortung der Türkei hervor und forderte, die Veränderungen in der arabischen Welt als Chance zu begreifen. Die Türkei könne mit ihrer Verbindung von Pluralismus und Islam Vorbild sein für arabische und nordafrikanische Länder.
An diesem Dienstag trifft Gül mit Bundeskanzlerin Angela Merkel zusammen, bevor er mit Wulff nach Osnabrück, die Heimatstadt des Bundespräsidenten, weiterreist. Am Mittwoch besucht er zum Abschluss seines Staatsbesuchs Baden-Württemberg.