Die Angst ist weg, der Stolz bleibt

Ein Leipziger Journalist blickt für uns auf die DDR und den Mauerfall zurück.

Berlin. Nur zwei Mal in der Nachkriegsgeschichte versank unser Land in einem Freudentaumel: 1954 nach der gewonnenen Fußball-Weltmeisterschaft und 1989 nach dem Mauerfall. Die Losung "Wir sind das Volk" brachte einen ganzen Staat zum Zusammenbruch, "Wir sind ein Volk" ließ eine neue Bundesrepublik entstehen.

Schade nur, dass sie den Geburtsfehler hatte, dass sich im Osten alles, im Westen fast nichts änderte. Ich glaube, in der Euphorie des 89er-Herbstes hätten notwendige Reformen bei Länder- und Gebietszuschnitt, Arbeitsmarkt, Sozial- und Schulsystem leicht vermittelt werden können.

Der 9.November 1989 bleibt für mich aber ein Tag der Freude und des Stolzes. 70000 Demonstranten hatten genau einen Monat zuvor in Leipzig friedlich und mutig den Druck entwickelt, der schließlich die Mauer fallen ließ. Und heute sehe ich ebenso stolz und froh auf meine Töchter, die vor 20 Jahren als Kinder mit Kerzen in der Hand vor der Leipziger Stasi-Zentrale ihren Teil dazu beitrugen, Teilung, Unrecht und Unfreiheit zu überwinden.

Verflogen ist die Angst, die wir damals um sie hatten, wenn wir sie heute über 30-jährig erleben. Schade, dass sie jetzt 500 Kilometer entfernt in Stuttgart leben. Bei ihren Freunden unterscheide sie schon lange nicht mehr zwischen Ost und West, erklärt mir meine Große. Recht hat sie.

Die vor 20 Jahren für uns Ostdeutsche gewonnene Reisefreiheit ist nicht allein die Möglichkeit, in die USA, nach Japan oder Australien fliegen zu können. Meine Mutter durfte zu DDR-Zeiten ihren Bruder in Münster nur ein einziges Mal besuchen. Da aber lag er schon im Sarg...

Sicher kannten wir vor 20 Jahren das Drogenproblem kaum, Bankraub lohnte sich nicht. Aber um welchen Preis? Klar, ein abgeschottetes Land lässt sich schlecht von Drogendealern erschließen. Und welches kolumbianische Drogenkartell hätte etwas mit DDR-Mark anfangen können? Eine Ursache für weniger Gewalt war aber auch, dass der Staat jeden Schritt überwachte. Selbst wenn ich bei meinen Eltern übernachtete, musste ich mich ins sogenannte Hausbuch eintragen. Es wurde kontrolliert und dokumentiert, Polizisten waren stets auffällig im Stadtbild.

Deshalb sollten wir 20 Jahre nach der friedlichen Revolution den Blick auf die historischen Realitäten nicht verschließen, aber auch nach vorn richten. Und da bleibt die Angleichung der Lebensverhältnisse eine der wichtigsten Aufgaben. Denn: "Wir sind ein Volk!" Und da müssen wir nicht so viel übereinander, sondern mehr miteinander reden. Nur so können Ossi-Frust und Wessi-Anspruchsdenken durch gegenseitige Akzeptanz und Toleranz ersetzt werden.