Empörung im Fall Marco: Jetzt schaltet sich Brüssel ein

Türkei: EU und Bundesregierung wollen, dass der quälende Prozess beschleunigt wird. Koch-Mehrin: „Wir können nicht länger schweigen.“

Berlin/Brüssel. Seit mehr als sieben Monaten sitzt Marco in türkischer Untersuchungshaft, sechs Mal wurde sein Prozess ohne messbaren Fortschritt vertagt - nun scheint die Geduld der EU-Parlamentarier aufgebraucht zu sein. "Ein Skandal" sei die lange U-Haft, wettert die Vizefraktionschefin der Liberalen, Silvana Koch-Mehrin, gegenüber unserer Zeitung. Der Fraktionschef der Sozialdemokraten, Martin Schulz, nennt die Haftbedingungen einen "Hohn". Die Parlamentarier wollen Druck auf Ankara machen, um das Verfahren zu beschleunigen.

Die Vorsitzenden aller Fraktionen schlossen sich daher einer Initiative der Liberalen an, EU-Erweiterungskommissar Olli Rehn mit der Sache zu betrauen. Gestern sprach Parlamentspräsident Hans-Gert Pöttering (CDU) mit Rehn - offiziell nur, um die Haltung der Kommission zu erfahren und seine "Besorgnis" über den Fall auszudrücken. Doch die Absicht ist klar: Rehn soll seine Kontakte zum Beitrittskandidaten Türkei nutzen, um die quälende Haft für Marco möglichst bald zu beenden. Würde ausgerechnet der Erweiterungskommissar den Fall ansprechen, wäre das ein Warnsignal an Ankara, dass die Türkei mit diesem Prozess ihre Beitrittschancen verringert.

Doch ob die Kommission das "heiße Eisen" anpackt, ist unklar. Rehn ließ nur mitteilen, dass er die "humanitäre Seite des Falls genau beobachtet". Auch die Bundesregierung hält sich mit Bewertungen des Verfahrens zurück. Kanzlerin Angela Merkel (CDU) versprach aber gestern, sich um eine Beschleunigung des Prozesses zu bemühen. "Wir werden tun, was dem Jungen nützt", sagte sie. Politische Diskussionen über den Fall würden schaden.

Silvana Koch-Mehrin sieht das mittlerweile anders: "Sieben Monate politische Zurückhaltung haben nichts bewirkt. Wir können in diesem Fall nicht länger schweigen." Sie forderte auch die Bundesregierung auf, klar Stellung zu beziehen.

Vorwurf Der 17-Jährige soll im Osterurlaub in der Türkei die 13-jährige Britin Charlotte sexuell missbraucht haben. Marco behauptet, sie habe die Zärtlichkeiten gewollt. Außerdem habe sie sich als 15-Jährige ausgegeben.

Prozess Erst Anfang Oktober wurde Charlotte in England vernommen. Die Übersetzung des Protokolls liegt dem Gericht bis heute nicht vor. Angeblich hat Charlotte die Vorwürfe präzisiert: Marco habe sich auf sie gelegt und versucht, sie zu vergewaltigen, bevor sie ihn wegstieß.