Gauck hat deutliche Worte im Gepäck

Bundespräsident scheut sich in Ankara nicht vor heftiger Kritik. Premierminister Erdogan zeigt sich davon unbeeindruckt.

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Ankara. Es musste eigentlich ein guter Tag werden für Recep Tayyip Erdogan. Am Sonntagabend konnte der glühende Fan von Fenerbahce Istanbul die türkische Fußball-Meisterschaft für seinen Lieblingsverein feiern, der Jubel auch in Ankara dauerte bis spät in die Nacht. Am Montag, zum Mittagessen, war der türkische Ministerpräsident immer noch guter Laune, und die wollte er sich auch durch den Gast aus Deutschland nicht verderben lassen. Als freundlich und sachorientiert beschrieben Teilnehmer das Gespräch mit Bundespräsident Joachim Gauck. „Kein gereizter Ton.“

Immerhin. Vielleicht wusste Erdogan da noch nicht, was Gauck eine Stunde später an der renommierten Metu-Universität sagen würde. Es war ein Plädoyer für eine demokratische Türkei, die sich nicht in die Isolation treiben lassen sollte, sondern den Werten Europas verpflichtet bleiben müsse. „Meine ganze Lebenserfahrung hat mich gelehrt“, sagte Gauck, dass Einschränkungen der Meinungsfreiheit Unmut, Unerbittlichkeit und die Bereitschaft zur Gewalt förderten.

Die Studenten der Hochschule hörten gelassen zu. Der Beifall war wohlwollend, aber nicht enthusiastisch. Dabei wird die Universität zu den Hochburgen des Protests in der Türkei gezählt. Draußen vor dem Gebäude ging es unruhiger zu. Es flogen ein paar Steine, eine Gruppe, die nicht in den Saal gelassen wurde, trat eine Tür ein.

Demonstrativ freundlich war der Empfang für Gauck durch Staatspräsident Abdullah Gül, der Deutschland ausdrücklich für die Unterstützung durch Bundeswehrsoldaten bei der Luftabwehr im syrisch-türkischen Grenzgebiet dankte. Und Gauck räumte ein, dass Kritik an Deutschland, etwa bei den Morden der NSU-Terrorzelle, durchaus berechtigt sein könne.

Was bleibt: So offen wie Gauck hat in den vergangenen Monaten kein ausländischer Staatsgast die Entwicklung in der Türkei angeprangert. Erdogan dürfte über die Kritik gerade aus Deutschland wenig erfreut sein. Bereits bei den Gezi-Protesten im vergangenen Sommer knirschte es mächtig zwischen Berlin und Ankara. Auf Kritik von Kanzlerin Angela Merkel am harten Vorgehen gegen Demonstranten hatte der damalige EU-Minister Egeman Bagis sinngemäß gesagt, wer sich mit der Türkei anlege, werde kein glückliches Ende nehmen.

Seit den Gezi-Protesten ist die Kritik an Erdogan — die er pauschal als Teil einer Verschwörung gegen seine Person abtut — kaum mehr abgerissen. Auf Korruptionsermittlungen, die zum Rücktritt von vier Ministern führten, reagierte der Premier mit der massenhaften Versetzung von Polizisten und Staatsanwälten. Der Geheimdienst MIT erhielt weitgehend freie Hand.

Erdogan ließ den Kurznachrichtendienst Twitter blockieren, Youtube folgte bald darauf. Über diese sozialen Medien waren vor der Kommunalwahl Ende März Telefonmitschnitte verbreitet worden, die Erdogan und seine Familie unter Korruptionsverdacht brachten. Die Wahl gewann die islamisch-konservative AKP trotz aller Anschuldigungen deutlich.

Das Verfassungsgericht bietet Erdogan noch die Stirn, es kassierte Teile der Justizreform und kippte die Twitter-Sperre. Der Oberste Richter Hasim Kilic sah sich erst vor wenigen Tagen genötigt zu betonen, dass die Justiz in Rechtsstaaten unabhängig sei. Erdogan hatte zuvor zum Twitter-Urteil gesagt, man müsse die Entscheidung zwar umsetzen, sie aber nicht respektieren.

Innenpolitisch ist Erdogan dennoch weitgehend unbestritten. Im August könnte er zum Präsidenten gewählt werden. Ein so starker Mann könne es sich doch leisten, Kritik zuzulassen, argumentiert Gauck. Erdogan bleibt unbeeindruckt.